■ Buchbesprechung: Natursekt für den Großen Bruder
Kaum ist es möglich geworden, an der frischen Luft oder in bestimmten Kneipen in aller Ruhe seinen Joint zu rauchen, ohne den Beginn einer Knastkarriere fürchten zu müssen, muß man schon wieder sein Auto stehenlassen. Immer öfter müssen angehaltene Autofahrer bei einer Polizeikontrolle nicht nur ins Röhrchen blasen, sondern auch ihre Achselhöhle herzeigen. „Drugwipe“ nennt sich das Testgerät, von einer Tochter der Daimler- Benz Aerospace entwickelt, mit dessen Hilfe Spuren von Kokain oder Cannabis ermittelt werden können. Doch damit nicht genug: Auch über Urinkontrollen oder die Abgabe von Haarproben wird immer öfter die Verkehrstauglichkeit getestet. Im Falle eines positiven Ergebnisses ist ganz schnell der Führerschein weg.
Auf diese „neuen Verfolgungsmaßnahmen des Großen Bruders“ weist ein Band der „Edition Rauschkunde“ hin: Unter dem Titel „Mein Urin gehört mir“ werden dort die krassesten Fälle nicht nur in der Verkehrspolitik aufgelistet. Außer der Polizei geraten dort auch Knäste und psychiatrische Einrichtungen, das Bundesamt für Zivildienst sowie VW in Wolfsburg ins Kreuzfeuer der Kritik: Sogenannte Drogenscreenings seien bei Freigängern ebenso wie bei potentiellen Zivis und Auszubildenden geradezu an der Tagesordnung. Herausgeber Ronald Rippchen resümiert: „Muß man Paranoiker sein, um dahinter politische Motive, vielleicht gar finanziert von der Pharma- und Alkoholindustrie, zu vermuten?“
Neben drei Fallbeispielen „leidgeprüfter Kiffer“ bietet das Buch eine umfangreiche Erörterung diverser Studien zum Thema „Wie bekifft kann ich noch Auto fahren?“ Deren Einschätzungen sind allerdings höchst unterschiedlich: „Haschisch führt ebenso wie Alkohol zur Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens“, eruierte die Universität Düsseldorf, während die Würzburger Roadside Survey zu dem Schluß kommt, daß ein „durch alleinigen Konsum von Cannabis erhöhtes Unfallrisiko“ sich nicht nachweisen ließ.
Dem fahrenden – oder zivildienstleistenden oder ausbildungsplatzinnehabenden – Kiffer bietet das Werk eine Menge praktische Unterstützung: Sämtliche in der Bundesrepublik zur Anwendung kommenden Drogentests werden samt ihrer Wirkungsweise detailliert beschrieben. So weiß man nach der Lektüre nicht nur, daß die Tests relativ ungenau sind und häufig zum Beispiel auch auf morphinhaltige Schmerzmittel reagieren, sondern auch, wie man sie manipulieren kann: den Urin eines anderen abgeben oder den eigenen mit Wasser, Tee oder Saft verdünnen. Gern genommen wird auch die Zugabe von Tafelsalz, Essig, Chlorbleiche oder Flüssigseife.
Wer nicht wirklich schummeln will, kann auch die Zeit zwischen der Vorladung und dem Urintest – oft bis zu zwei Wochen – konstruktiv nutzen, um den THC- Gehalt im Blut zu senken: Viel trinken, vor allem Blasen- und Nierentee, häufige Besuche in der Sauna, viel Sport. Müsli hilft beim Entschlacken. Wer sich einer Haaruntersuchung unterziehen muß, kann darüber nachdenken, sie bleichen zu lassen: Das entfernt die Drogeninformationen. Im Zeitalter des Überwachungsstaates für Kiffer warnt Ronald Rippchen auch vor einem allzu unbefangenen Friseurbesuch: „Ich jedenfalls nehme meine abgeschnittenen Haare immer mit nach Hause.“ Jeannette Goddar
Ronald Rippchen (Hg.): „Mein Urin gehört mir“. Edition Rauschkunde, 125 Seiten (TB), 15 DM
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