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Gegen die Möblierung der Städte

■ Christian Boltanski erhielt gestern den Bremer Roland-Preis / Eine Doppelwürdigung

Zum dritten Mal wurde gestern in Bremen der mit 20.000 Mark dotierte Roland-Preis für Kunst im öffentlichen Raum vergeben. Preisträger diesmal: der französische Künstler Christian Boltanski. Eine Wahl, die auf den ersten Blick überrascht. Denn Boltanski ist kein typischer Vertreter dessen, was man sich gemeinhin unter Kunst im öffentlichen Raum vorstellt.

Warum also er? Die Lösung liegt in der Zielsetzung des bundesweit einmaligen Preises. Es geht bei ihm nicht darum, „die Möblierung der Stadt im traditionellen Sinne“auszuzeichnen, sondern KünstlerInnen zu ehren, die den öffentlichen Raum „in vieldimensionaler Weise neu definieren“– so Prof. Lothar Romain, Vorstandsmitglied der Stiftung Bremer Bildhauerpreis, die den Roland-Preis alle drei Jahre vergibt. Ein Anliegen, das nach den Worten Romains auch schon die beiden vorherigen PreisträgerInnen, Jochen Gerz und Maria Nordmann, verkörpern. Doch im Gegensatz zu ihnen hat sich Boltanski erst einmal architektonischer und skulpturaler Mittel im Stadtraum bedient, nämlich mit der Installation „The missing house“(siehe Artikel rechts). Zwar bezieht sich die Jury bei der Preisbegründung ausdrücklich auf dieses Werk, betont aber, daß der Preis für Boltanskis Gesamtwerk verliehen wird.

Was man von diesem Künstler kennt, sind vielfältige Inventare der Erinnerung. Einmal hat er einen „See“aus Kleidungsstücken mit einem Holzsteg darüber drapiert. Die BetrachterIn geht über die körperlosen Kleider hinweg und tritt darauf – auf eindringliche Weise weckt der Künstler so Erinnerungen an den Holocaust.

In dieser Beharrlichkeit verweist Boltanski auf die stets vom Vergessen bedrohte Geschichte, auf die Bedeutung des Kleinen und Alltäglichen. Denn genau das ist die Basis der großen Historie. Im Gegensatz zu den Monumenten und Denkmälern der „großen“Geschichte gibt seine scheinbar aus dokumentarischen Trivialitäten komponierte „Alltagssoziologie“keine Objektivität vor: An allen Ecken und Enden spielt Boltanski mit dem Wahrheitsgehalt seiner „Dokumente“– auch der eigenen.

Wenn er seine Kindheit „rekonstruiert“, wie er es in den frühen 70er Jahren getan hat, setzt er seine Biographie schauspielerisch in Szene und drückt dabei auf den Selbstauslöser. Die Vergangenheit lagert in persönlichen Erinnerungen und erlaubt nur subjektive Blicke auf die Geschichte. Das traditionelle Mahnmal hat für ihn ausgedient. Es hakt seiner Ansicht nach Geschichte ab und vernachlässigt die Not des Individuums. Deshalb hat Boltanski eine Teilnahme am Wettbewerb um das Holocaust-Denkmal in Berlin abgelehnt.

Auf die Frage, welches Projekt er in Bremen realisieren möchte, schüttelt der Künstler den Kopf. Denn seine Arbeiten entstehen vor Ort und dürften Geschichte aus der Sicht ihrer BewohnerInnen reflektieren. Bremen darf gespannt sein.

Moritz Wecker

Eine ständige Installation Boltanskis zu sehen in der Weserburg

as vom Haus B übrigblieb, paßt in eine flache Din A4 Schachtel. Sie liegt auf einer Fensterbank im Bremer Rathaus. Zwischen einem Blumenbouquet, Notizzetteln, Ausstellungskatalogen und dem orangefarbenen Anorak einer Besucherin fällt sie kaum auf. Zwei Gummibänder halten den grauen Karton zusammen, auf dem in feinen Lettern der Name „Christian Boltanski“steht, darunter, „La maison manquante“. Am besten läßt sich der Titel mit „fehlendes Haus“übersetzen.

Das Gebäude mit der Nummer B ist 1945 in Berlin zerbombt worden. Noch heute klafft dort an der Hamburger Straße 15 eine Lücke. Auf die angrenzenden Wände der benachbarten Häuser hat der Künstler Boltanski 1991 die Namen der WIEVIELE letzten Bewohner in Großbuchstaben geschrieben. Im dritten Stockwerk rechts zum Beispiel wohnte „M. Müller, Pensionärin, 1938-45“. Mehr erfährt der neugierige Passant nicht, mehr wußte niemand von ihr zu berichten.

Der Versuch des Künstlers, die von 1930 bis 1945 im Haus lebenden Menschen zu rekonstruieren, ähnelt einer Spurensuche, die meist im Tod endet. Die jüdischen Bewohner sind deportiert und vernichtet worden, jene, die deren beschlagnahmte Wohnungen belegten, wurden unter den Bomben begraben. Ihre Geschichte paßt in ein paar dünne Mappen.

Endlich stehen die acht Vitrinen im Bremer Rathaus so, daß kein direktes Sonnenlicht die Papiere beschädigt, das Publikum Platz zum Betrachten hat und der Weg zum Zimmer des Bürgermeisters trotzdem freibleibt. Guy Schraenen, freier Kurator am Weserburgmuseum, entfernt mit Mitarbeitern die schweren Glasdeckel und öffnet die Schachtel. Er verteilt das bißchen Inhalt: einen Grundriß des Hauses, einen alten Stadtplan, zwei verwackelte Fotografien, die mehr ahnen lassen als zeigen. In einen anderen Schaukasten legt er die wiedergefundenen Dinge eines Herrn mit dem Namen Kurt Porteset. Er war ein Friseur und muß jung gewesen sein. Hauptsächlich Kinderbilder hat Boltansky von ihm ausfindig gemacht, auch ein Attest ist dabe,i und da - ein Ausweis zum Betreten des Bunkers C.Ihn zu benutzen hat Kurt Porteset am WANN 1945 keine Zeit mehr gehabt.

Alle Fotografien, Erinnerungsstücke und Papiere, nebst einigen Notizen aus Gesprächen mit überlebenden Nachbarn sind jetzt geordnet. Die Vitrinenaufsätze, Sargdeckeln nicht unähnlich, können geschlossen werden. Sie bedecken die Vergangenheit sorgfältig.

Sabine Haßler

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