: Gefälschter Jazz
■ Die Bremer Fake-Jazz-Band „Swim Two Birds“spielte im Radio-Bremen-Sendesaal
Als „Fake-Jazz“bezeichnete der Bandleader, Saxophonist und Komponist Achim Gätjen die Musik seiner Band „Swim Two Birds“und reihte sich damit in eine Tradition. Denn schon in den 80er Jahren machte John Lurie mit den „Lounge Lizards“und seinen „Jazz-Fälschungen“Furore, und Gätjen versuchte das Altsaxophon genauso cool zu blasen wie dieser.
Wenn man einen eigenen Ton gefunden hat und lange genug übt, wird zwangsläufig aus dem Bluff-Jazz „the real thing“, und spätestens nach dem Konzert am Samstag abend im Sendesaal von Radio Bremen muß sich die Band wohl oder übel eine andere Schublade für ihre wilde, dreckige Mischung aus Improvisation, Lyrik und fetten Bläsersätzen suchen. Da wurden Kompositionen, die oft frappierend an die Titelmusiken von TV-Krimiserien der 60er Jahre erinnerten, durch brachiale Free-Jazz Ausbrüche demontiert, und das in einer ruhigen Bluestimmung ansetzende Stück „55 Fieber“wurde, ganz dem Titel entsprechend, immer hitziger und endete schließlich in einem kakophonischen Tutti. Anders als Werder spiele die Band mit einer „Viererkette im Angriff“, erklärte Gätjen zum Beginn des Konzerts, und meinte damit sich, den Saxophonisten Ralf Benesch, den Trompeter Martin Klingeberg und den Vokalisten Jasper Hood. In der vorherigen Mannschaftsaufstellung war dagegen der Gitarrist Peter Apel eindeutig als Mittelstürmer auszumachen, aber in der neuen Besetzung der Band spielt Tammo Lüers die E-Gitarre viel verhaltener. Er bereichert eher unauffällig den Sound der Band mit Rock-Riffs und kleinen Bluesläufen, während Apel, wenn er einmal losgelassen wurde, kaum zu bändigen war.
Der Joker der Band war dagegen immer Jack Marlow gewesen, der seine Gedichte meist über die Improvisationen der Bläser rezitierte, und damit einen irritierend, rätselhaften Kontrapunkt lieferte. Vielleicht lag es an seiner exzentrischen Vortragsweise oder man spürte, daß da einer seine eigene Dichtung vortrug – aber Marlow ist nicht zu ersetzen. Jasper Hood mag das gleiche tun wie er: Englische Poesie vortragen, von der man über der Musik eh kaum ein Wort versteht. Aber er wirkte viel zu blaß und distanziert, um seinen Platz gegen die Band zu behaupten. Und so schien es oft so, als hätte sich dieser schlanke junge Mann direkt aus dem Film „Trainspotting“auf die Bühne verirrt, ohne recht zu wissen, warum er hier solch seltsame Texte vortragen müßte.
Achim Gätjen sollte sich also überlegen, ob er nicht ganz auf die Rezitationen verzichten sollte, denn musikalisch trägt sein Konzept auch ohne solch poetische Absonderlichkeiten wie „Kiss your ass goodbye“! Mit dem Drummer Frank Mattutat und dem Bassisten Willy Hart hatte die Band eine solide rollende Rhythmusgruppe, und die drei Bläser spielten mit einem ungeschliffen rauen Ansatz, der die Musik immer abenteuerlich und angenehm ruppig klingen ließ. Trompeter Martin Klingenberg blies vielseitig – mal spielte er mit ruhigem Bluesfeeling, dann schmetterte er elektronisch verfremdet mit viel Aggression.
Das Konzert wurde live von einer niederländischen Radiostation übertragen, und weil er offenbar möglichst viel Musik in die zwei Stunden Sendezeit stopfen wollte, sprach Gätjen seine Ansagen direkt in den Applaus hinein, so daß man leider kaum ein Wort verstand. Die Band schien mehr für die Mikrophone als für das vor ihr sitzende Publikum zu spielen, und schließlich gelang ihr auch noch das Kunststück, bei aller Wildheit auf den Punkt genau um Mitternacht zum Schluß der Sendung ihre erste Zugabe zu beenden.
Wilfried Hippen
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