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Wurde bei der Übertragung von Wachstumsgenen auf das Edelgemüse der BSE-Erreger eingeschleust? Verantwortlich könnte ein Gentech-Unfall in der Singener Landesanstalt für Biotechnologie gewesen sein Aus Singen Manfred Kriener und Ralf Sotscheck

Rinderwahn an badischem Spargel

Nebelfetzen hängen an der Rüsselkuppe unweit des Hohentwiels. Regen tropft in die verbuschte Hegaulandschaft. Das Kiefernwäldchen am Stadtrand von Singen versteckt sich hinter schlierigen Fäden. Der Frühling verweigert seinen Job. Am agronomischen Institut der Landesanstalt für Biotechnologie möchte man die beiden angereisten Journalisten am liebsten wieder nach Hause schicken. Doch Institutsleiter Hans-Günther Kowarek weiß, daß die Zeit des Schweigens vorbei ist. Am späten Vormittag läßt er einen „Sachstandsbericht“ verteilen. Zwei Stunden später stellt er sich dann doch den Fragen.

„Nach menschlichem Ermessen“, sagt er abschließend, und seine linke Hand spielt unsicher mit der Brille, „besteht keine Gefahr.“ Doch was er zuvor gesagt hat, entspricht dem Gegenteil. Kowarek ist der Kopf eines achtköpfigen Wissenschaftlerteams, das seit drei Jahren in Singen an der gentechnischen „Leistungsoptimierung landwirtschaftlicher Nutzpflanzen“ arbeitet. Nach ersten Versuchen mit Raps und Kartoffeln haben sich die Forscher auf die ökonomisch interessantere Spargelpflanze (Asparagus dracena) konzentriert. In Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Institut für Pflanzenzüchtung im nahen Basel wurde versucht, „ergiebigere Spargelpflanzen durch bovine Wachstumshormone“ zu konstruieren.

„Bovin“ steht für Rind. Und tatsächlich gelang es den Forschern, ein Gen, das für das Wachstumshormon 3,4-Betabovinamid des Rindes verantwortlich ist, auf den Spargel zu übertragen. Als Vorbild dienten ähnliche Versuche mit Wachstumshormonen bei Forellen und Schweinen. Und auch Erdbeeren wurde ein Flundergen eingesetzt, um sie vor Frost zu schützen.

Im dritten Anlauf war das Genexperiment schließlich erfolgreich. Der Turbospargel, der in den beheizten Gewächshäusern an der Heideggerstraße unter optimalen Bedingungen heranwuchs, war deutlich dicker und größer als die Ausgangspflanze badischer Herkunft. Der Genspargel hatte einen Durchmesser von vier bis fünf Zentimetern, das Rekordexemplar wurde mit 5,62 Zentimetern vermessen. „Das Schälen wird erleichtert, und die dickeren Spargelstangen haben einen deutlich besseren Biß bei 2,6fach erhöhter Ernteausbeute pro Quadratmeter Ackerfläche“, rechtfertigt Kowarek die Versuche.

Die Ernte wurde in rohem und gekochtem Zustand – Kowarek: „Die Hollandaise haben wir uns geschenkt“ – an 40 Laborratten vom Typ „Wistar“ verfüttert. Später auch an Meerschweinchen.

Die Tiere waren zunächst wohlauf, doch bei einer der Ratten stellten sich am 21. Tag nach der Spargelfütterung auffällige Schaukelbewegungen ein. Am 24. Tag wurden dieselben Koordinationsstörungen bei zwei weiteren Nagern beobachtet. Am 27. Tag verendeten zwei Tiere, die dritte Ratte lag am Morgen des 29. Tages tot in ihrem Käfig. Alle übrigen Ratten und Meerschweinchen blieben bis heute gesund.

Die Tierpathologen des Veterinärischen Untersuchsamtes Stuttgarts standen zunächst vor einem Rätsel. Alle Organe der verendeten Labornager waren im Befund unauffällig. Erst die Aufforderung der Schweizer Kollegen, auch die Hirne der Tiere genauer anzusehen, brachte Aufklärung. Sie zeigten dieselben schwammartigen Aushöhlungen, wie sie von der BSE-Seuche bekannt sind.

Der BSE-Erreger wurde mit dem Gentaxi eingeschleust

Als Kowarek dann noch einräumen mußte, daß die „Genspende“ von einem Schweizer Rind kam, schloß sich die Indizienkette. Die Schweiz hat bislang 260 BSE-Fälle registriert. Offenbar trug auch die längst geschlachtete, schwarzbunte Spenderkuh aus dem Kanton Thurgau den BSE-Erreger in sich, obwohl sie keine Verhaltensauffälligkeiten gezeigt hatte.

Der Gentech-Unfall offenbart erschreckende Parallelen zu den Soja-Experimenten in den USA. Dort war bei einer Genmanipulation als Nebeneffekt das allergene Potential der Paranuß [siehe Taz vom 26. 9. 1996] auf die Sojapflanze übertragen worden. Die Forscher kannten das Risiko, sie wußten, daß die Wahrscheinlichkeit für einen solchen Effekt bei 1:10.000 lag. Jetzt wurde offenbar der BSE-Erreger mit dem Gentaxi in den Spargel eingeschleust.

Die Singener Wissenschaftler sahen ihre Experimente trotz des BSE-Verdachts zunächst als Beweis dafür an, daß „unser Kontrollsystem funktioniert“ und die Sicherheit gewährleistet sei. Eine Gefährdung von Personen habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Doch die angeordnete Vernichtung des Gentech-Spargels am vergangenen Mittwoch warf ihre Sicherheitsphilosophie über den Haufen.

In mehreren Gewächshauszeilen fanden die Wissenschaftler Schnittstellen. Einzelne Spargel waren unkontrolliert abgeerntet worden. Trotz fieberhafter Suche fand sich keine Erklärung für den Verlust von insgesamt 36 Stangen.

Weitere zwei Tage vergingen, bis schließlich Polizei und Innenministerium verständigt wurden. Die Verbraucher sind bis heute nicht gewarnt worden. Die Angst vor einer Panik und vor dramatischen Preisstürzen zu Beginn der Spargelsaison sitzen tief.

Institutsleiter Kowarek ist indes noch immer überzeugt, daß kein einziger Spargel das Forschungsgelände verlassen hat. Er glaubt an „Bilanzierungsprobleme“ seiner Doktorranden, die den Überblick über bereits verfütterte und noch zu erntende Pflanzen verloren hätten. Doch Evelyn Steinmann, die für die Einbringung verantwortliche Biologin, ist „hundertprozentig sicher“, daß die Spargelstangen verschwunden sind. Ein Einbruch ist nicht ausgeschlossen, zumal sich im Gewächshaus II b ein verklemmtes Seitenfenster nicht richtig schließen läßt. Außerdem hatte der Hegaubote in seinem Lokalteil berichtet, daß die Spargelernte im Institut begonnen habe. Ein Bild zeigte Institutsleiter Kowarek, wie er den ersten geernteten Superspargel kameragerecht präsentierte. Der Bericht könnte Diebe, aber auch Gentech-Kritiker angelockt haben, glaubt die Polizei.

Das Stuttgarter Landeskriminalamt hat inzwischen die Wochenmärkte rings um den Bodensee nach auffällig dicken Spargeln abgesucht. Dort wird derzeit vor allem griechische Ware mit kaum fingerdicken Stangen verkauft. Die Marktleiter wurden in einem vertraulichen Rundbrief angewiesen, die Augen offenzuhalten und ungewöhnlich üppig geratenes Gemüse diskret aus dem Verkehr zu ziehen. Die ersten beschlagnahmten Bunde türmen sich bereits in den Polizeidienststellen, sind aber durchweg sauber.

Die Wissenschaftlercrew hofft unterdessen auf einen Nebeneffekt ihrer Versuche. Ihr neugeschaffener Turbospargel ist nicht nur sehr viel dicker, er enthält auch sehr viel mehr Bitterstoffe. Das ergaben gaschromatographische Analysen. „Vielleicht wird er deshalb von den Dieben gar nicht verzehrt“, räsoniert Steinmann. Vielleicht.

Vielleicht auch nicht.

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