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Dort, wo der Hirsch röhrt

Natürlich, Künstler leben im kreativen Chaos, Normalität erstickt ihr schöpferisches Ego. Oder bedarf es bürgerlicher Bodenhaftung zum künstlerischen Schaffen? Auf die Pirsch begab sich  ■ Lennart Paul

Wohn-Vorurteile – überall hocken sie in den Köpfen. Oder? Ein kleiner Test: Beamtenwohnung, Studentenwohnung, Arbeiterwohnung. Tauchen da nicht nach Größe sortierte Bücher in Möbel- Höffner-Schrankwänden, zusammengeschobene Matratzen auf kaltem Dielenfußboden und angeschlagene Blümchentassen in Resopal-Küchenborden auf?

Besonders gut ausgeleuchtet sind die Wohnverhältnisse von Künstlern. Wozu gibt es schließlich Hunderttausende von Postkarten von Spitzwegs armem Poeten und Dutzende Bücher über das Leben der Boheme?

Soviel ist klar: Kreatives Chaos gepaart mit Armut und leeren Rotweinflaschen prägen das Wohnumfeld des gemeinen Kunstschaffenden aller Sparten, solange er noch um Anerkennung ringt. Der wahre Künstler verwirklicht sich auch in seinem Zuhause, Normalität erstickt sein schöpferisches Ego.

Mit der Kunst ist das so eine Sache. Auf dem Weg von der Idee zum fertigen Werk lauern Gefahren: Die Phantasie kann den Künstlern verlorengehen. Und die Künstler können in ihren Phantasien verlorengehen, den Anschluß ans Leben verlieren.

Was kann da besser sein als eine tägliche Umgebung, die einen auf Realitätskurs hält? Hilft vielleicht ein Billy-Bücherregal von Ikea dem Künstler dabei, sich ganz auf seine Werke zu konzentieren?

Bei Gerhard Scheibe fängt die Kunst im Vorgarten an. Ein stählernes Pferd steht hier und eine lebensgroße rostige Männerstatue. Gerhard Scheibe fertigt Skulpturen aus Schrott und Edelstahl. Dazu hat er sich aufs Land zurückgezogen, in den Spandauer Süden. Er lebt, von allen Straßen gut abgeschirmt, in einem kleinen Backsteinhäuschen auf einem Gatower Hinterhof.

Die Stadt liegt dem 57jährigen Bochumer nicht, hat ihm nie gelegen. Er braucht Wald, vor allem aber Wasser in seiner Nähe. Hier draußen hat er von beidem reichlich. An Wasser kann er jedoch nie genug haben: In seinem Garten, den er schnell in einen Skulpturenpark verwandelte, legte er einen Teich an.

Bei Gerhard Scheibe gibt es keine Trennung zwischen Wohnen und Arbeiten – ein Zustand, der auch aus Finanznot geboren wurde. Oft freut sich der Künstler darüber, etwa wenn ihm morgens um vier Uhr die famose Idee kommt und er vom Bett aus nur zwei Schritte zu seiner Arbeit gehen muß.

Seiner Kunst zuliebe hat Gerhard Scheibe kaum Platz für „typisches Wohnen“ gelassen. Hinter der Eingangstür seines Hauses, einer ehemaligen Stellmacherei, schließt das größte Zimmer an. Hier hat der Künstler seine Werkstatt.

Überall liegen Bretter, Rohre, auch Steine. An der kahlen, grob verputzten Wand lehnt eine Schaufensterpuppe. Ein aus einer Öltonne gebauter Ofen brennt an der Längsseite der Werkstatt. Schweißapparat und Werkbank füllen die andere Seite. Das Zimmer erinnert an eine mittelalterliche Schmiede. Links dahinter schließt sich das kleine Büro an. Eine staubige Neonlampe beleuchtet die Schrankwand und die kleine Schreibplatte. Ein Hochboden schafft Stauraum für die Kunstwerke. Einen Großteil des Raumes nehmen fertige Skulpturen ein. Dicht gedrängt stehen sie auf schlanken Ständern aus Edelstahl.

Der letzte Raum schließlich ist Wohn- und Schlafzimmer zugleich. Ein schlichtes Bett füllt die eine Ecke, ein Fernseher die andere. Dazu eine Sitzgruppe aus Bambus, eine Wäschetruhe von 1770. Kaum Bücher, kaum Kleidung.

Kein Luxus. Die Wände sind dicht mit Metallbildern Scheibes behängt. Ein wenig am Rande, in den Ecken des Hauses, liegen Bad und Küche. Die Küche geht gleich am Eingang ab, eine Kochnische, in der man sich einmal um die eigene Achse drehen kann.

Trotz des Chaos ist Gerhard Scheibes Häuschen ein Wohlfühl- Ort. Das liegt auch an Scheibe selbst. Seine Tür steht immer offen, Besucher kommen und gehen. Und wenn der Künstler nicht gerade bei seiner Arbeit ist, den schwarzen Filzhut tief in die Stirn gezogen, dann serviert er starken Brühkaffee.

Gerhard Scheibe besaß früher eine Werkstatt für Karosseriebau und Lackierarbeiten. Eines Tages baute er aus Autoteilen eine Figur, „Don Quischrott“. Plötzlich hatte er entdeckt, was er tun wollte: „In meiner Kunst konnte ich endlich selbst bestimmen, wo welches Teil hingehört.“ Er verkaufte die Werkstatt und widmete sich seinen Skulpturen: eine klassische Selbstverwirklichungsgeschichte.

Bereut hat er diese Entscheidung nie, sagt er. Aber insgesamt hatte er sich das freie Leben schon leichter vorgestellt. Glaubt er, sich auch in seiner Wohnung selbst verwirklicht zu haben? Da ist er unsicher. Er liebt sein Häuschen und möchte nicht tauschen. Aber ein Atelier wäre schon schön, zumal die Kombination aus Wohnen und Arbeiten und die räumliche Enge manchmal stören.

„Kitsch as Kitsch can“ heißt es bei Cristina Romero. Die Spanierin lebt mit ihrem Mann und dem vierjährigen Sohn in einer Drei- Zimmer-Neubauwohnung in Charlottenburg. Im Flur recken Stierköpfe aus Plastik dem Besucher ihre Hörner entgegen – ein Schlüsselbrett der iberischen Art. Ein riesiger Elchkopf aus Pappmaché, eingerahmt von einem Herz aus roten Rosen, nimmt es mit den Stieren auf.

Im Wohnzimmer hängen Cristinas grelle Werke dicht an dicht. Aus blumenrankigen Bilderrahmen gucken Pinguine mit leuchtender Krone auf dem Kopf. Aus

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Ton modellierte Giraffenköpfe stecken im Glitzergoldrahmen. In einer Ecke steht die heilige Maria, das Gewand quietschend blau und lila angemalt. Auf einer rosa Hochzeitstorte laufen drei Nashörner, das Hochzeitspaar auf der Spitze trägt auf menschlichen Körpern Nashornköpfe.

„Diese Werke waren meine Rebellion gegen Deutschland“, sagt Cristina Romero. Vor dreieinhalb Jahren kam sie nach Berlin, der Liebe wegen. Doch hier fühlte sie sich nicht besonders wohl: Zu grau war die Stadt im Osten Mitteleuropas und allemal zu kalt. Sie sehnte sich nach Malaga, ihrer Geburtsstadt. Und nach Sevilla, wo sie Kunst studiert hatte.

Deshalb suchte sie Zuflucht in leuchtenden Farben – und in barocker Schwülstigkeit. Ihr Stück Deutschland sollte nicht grau bleiben. „Katholisch, spanisch, arabisch, afrikanisch“, nennt die Spanierin selbst die Einflüsse, die sie am stärksten geprägt haben. Aber zwischen dem Torero und der Flamenco-Tänzerin finden der röhrende Hirsch und der Froschkönig auch noch ihren Platz.

Wie Gerhard Scheibe arbeitet auch Cristina Romero zu Hause. Wenn ihr Sohn im Kindergarten ist, stellt sie die Staffelei auf und malt, modelliert ihre Tonfiguren oder klebt ihre glitzernden Bildhintergründe.

Bei ihr macht die Kunst auch vor der Wohnungseinrichtung nicht halt. Der Nierentisch im Wohnzimmer glitzert rot. Die Tischkante ist rundum mit einer goldenen Fransenborte verziert. Am Eßtisch stehen barock ausladende Stühle: die Polster rot, Lehnen und Tischbeine goldfarben. Unter dem Fernseher liegt eine Decke mit Leopardenmuster. Im Fensterbrett schließlich hat sich eine Gartenzwergfamilie versammelt.

Die Künstlerin sammelt mit Elan die Inkarnation deutscher Spießigkeit, besonders die älteren Exemplare. Dazu zieht sie Wochenende für Wochenende über Berliner Flohmärkte. „Mein Mann hat mir zwar gesagt, Gartenzwerge seien das Schlimmste, was es gibt“, sagt sie. „Aber ich finde sie einfach lustig.“

Gerhard Scheibe und Cristina Romero haben ihre Wohnungen in ihre Kunst einbezogen. Sie haben ihren Räumen ihren eigenen Stempel aufgedrückt. Ihnen zumindest werden Ikea-Schrankwände wohl ein Leben lang fremd bleiben.

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