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■ Was tun, wenn man Italien 1999 nicht bei der gemeinsamen EU-Währung haben will, aus Furcht um Wahlsieg und harten Euro? Man organisiert die Destabilisierung des Partners heimlich über die Finanzmärkte. Genau das tun Waigel und Kohl.Kohl

Was tun, wenn man Italien 1999 nicht bei der gemeinsamen EU-Währung haben will, aus Furcht um Wahlsieg und harten Euro? Man organisiert die Destabilisierung des Partners heimlich über die Finanzmärkte. Genau das tun Waigel und Kohl.

Kohl läßt Italien auf der Lira sitzen

Der Euro kommt, und er kommt ohne Italien. Die Diskussion, ob ein Haushaltsdefizit über drei Prozent die Stabilität der künftigen Währung gefährdet, ist nur noch Spiegelfechterei. Was die Europäische Union in den nächsten Monaten erleben wird, ist etwas viel Perfideres. Beim Treffen der Finanzminister im holländischen Badeort Noordwijk wurde deutlich, was sich Beamte im Umkreis von Theo Waigel ausgedacht haben: Um das Vertrauen in den Euro zu stärken, soll Italien mit gezielten Manipulationen der Finanzmärkte aus dem Kandidatenkreis geboxt werden. Die Kosten des Verfahrens trägt Rom über höhere Zinsen. Das wird die Staatskasse Milliarden kosten und das Wirtschaftswachstum erwürgen.

Bundeskanzler, Finanzminister, Bundesbankchef, sie alle werden am Ende ihre Hände in Unschuld waschen. Nicht wir sind's gewesen, werden sie sagen, die Finanzmärkte haben Italien die hohen Zinsen aufgebrummt: Tut uns wirklich leid. Aber die hohen Zinsen zeigen, daß Italien noch nicht reif ist für die Währungsunion. Vorerst, zumindest zwei Jahre später, so die Überlegungen, könne Rom in einem neuen Stabilitätsanlauf zum Euro nachrücken.

Denn Italien stört die Kreise des Kanzlers, der gerade seine erneute Kandidatur verkündet hat. Im Frühjahr 1998, wenn der deutsche Wahlkampf anläuft, werden in Brüssel die Teilnehmerländer für den Euro ausgewählt. Für den Kanzler steht fest: Italien darf nicht dabeisein. Denn wie sollte Kohl dem deutschen Volk die Angst vor einem weichen Euro nehmen, wenn die künftige Einheitswährung auch in Italien gilt. Kohl werde verhindern, versichert auch die Börsenzeitung, daß er im Wahlkampf als Kanzler dastehe, der die harte D-Mark mit der weichen Lira verschmelzen will.

Bis vor kurzem sah es so aus, als ob Rom ohnehin keine Chancen hätte, die sogenannten Stabilitätskriterien zu erfüllen. Doch das hat sich in den letzten Wochen geändert. Zum einen hat die italienische Regierung enorme Fortschritte bei der Senkung des Haushaltsdefizits gemacht. Zum anderen werden die Stabilitätskriterien doch nicht so streng ausgelegt werden können, wie Waigel immer gesagt hat, weil sonst Deutschland selbst nicht dabei wäre. Wenn aber Waigel die Dreiprozentmarke um 0,3 Prozent verfehlt – mindestens –, dann wird es schwer werden, Italien wegen 0,4 oder 0,5 Prozent auszuschließen. Irgendwann in den letzten Wochen hat sich die Idee ausgebreitet, daß die Finanzmärkte den Job am besten machen könnten.

„Manche Entscheidungen können den Politikern abgenommen werden“, orakelte ein hoher Finanzbeamter in Noordwijk. In auffallender Übereinstimmung haben Finanzminister Theo Waigel, sein holländischer Kollege, EU-Kommissar Yves Thilbaut de Silguy, Bundesbankchef Tietmeyer und einige andere betont, daß für die Teilnahme am Euro auch die Einschätzung der Finanzmärkte berücksichtigt werden müsse. Mit anderen Worten: Wenn die langfristigen Zinsen, an denen sich das Vertrauen der Wertpapierhändler in eine Währung ablesen läßt, wenn also diese langfristigen Zinsen in Italien wieder steigen, dann wird es wohl nichts mit der italienischen Euro-Teilnahme.

Nach einer alten Theorie, die derzeit vor allem in der Bundesbank und im Bonner Finanzministerium erstaunlich offen aufgewärmt wird, wissen die Finanzmärkte am besten, was eine Währung wirklich wert und welcher Zins angemessen ist. Schließlich seien die Händler völlig unpolitisch und nur auf Gewinn dressiert, ihr Urteil also unbestechlich. Diese Theorie ist in Wirklichkeit eine Ideologie, es ist die Ideologie der Freihändler, die den Staat aus ihren Geschäften heraushalten wollen. Wie hohl sie ist, dafür gibt es zahlreiche Beispiele von Zins- und Wechselkursschwankungen, die mit der realen Wirtschaft nichts zu tun haben. Gerade in letzter Zeit wurden an den Devisenmärkten nicht selten Gerüchte gezielt gestreut, um die Kurse in Bewegung zu halten. Denn wenn sich nichts bewegt an den Devisenmärkten, gibt es auch nichts zu verdienen. In London etwa hat ein solches Gerücht, daß die Bundesbank keine Chance für Italien sieht, Anfang des Jahres die Lira absacken lassen.

Mit großer Mühe und vielen Opfern für die Bevölkerung hat die italienische Regierung im vergangenen Jahr die Sanierung des Staatshaushalts begonnen. Wir sind, frohlockte der italienische Premierminister Romano Prodi, auf dem besten Weg zum Euro. Wir waren auf dem besten Weg, müßte er heute sagen. Finanzminister, Bundesbankchef und andere werden in den nächsten Wochen immer wieder im kleinen Kreis enger Vertrauter darauf hinweisen, daß es schwierig wird für Italien. Je kleiner der Kreis und je vertrauter, desto sicherer ist, daß sich die Währungs- und Anleihehändler darauf stürzen werden. Große, öffentliche Reden wären eher schädlich, sie müssen anschließend dementiert werden und belasten das freundschaftliche Verhältnis zu Italien. Aber was kann belasten, wer soll dementieren, wenn ein „hoher Finanzbeamter“ oder ein „wichtiger Politiker“ in einer Zeitung mit der vertraulichen Einschätzung zitiert wird, daß Italien noch nicht reif sei für die Währungsunion.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Der Finanzminister, der Bundesbankchef und die anderen haben sicher keine Verschwörung angezettelt. Sie haben sich nirgends zusammengesetzt und in aller Heimlichkeit die Marschroute ausgegeben. Das ist nicht nötig. Alle Beteiligten wissen, wie das Spiel geht. Und da die Branche der Finanzpolitiker voll ist mit Leuten, die von der Idee besessen sind, daß bei drei oder vier Prozent Inflation die Hölle anfängt, gibt es viele, die gerne mitspielen, nicht nur deutsche. Es genügt, daß einer mit dem Gerede anfängt, der ganz weit oben sitzt. Das haben der deutsche Finanzminister und sein Staatssekretär Jürgen Stark in Noordwijk getan.

Das besonders Perfide an der Sache ist, daß sich Italien nicht dagegen wehren kann. Die Finanzmärkte glauben dem Stärkeren, nicht dem Schwächeren, schon gar nicht, wenn er mit offiziellen Richtigstellungen daherkommt. Solange damit Gewinn zu machen ist, stört es die Finanzmakler auch nicht, wenn sie von Politikern benutzt werden. Und die Journalisten, mag es sie auch stören, werden ebenfalls benutzt: als Stichwortgeber für die Finanzmärkte. Alois Berger, Brüssel

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