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Krebstod durch das radioaktive Americium 241?

■ Umweltschutzverbände fordern Exhumierung der Leiche von Necati Demirci. Der Türke war bei einem Störfall in Karlstein radioaktiv verseucht worden

Frankfurt/Main (taz) – Der türkische Arbeiter Necati Demirci starb 1996 in seiner Heimat, nachdem ihm Jahre zuvor in Deutschland ein krebsbefallener Lungenflügel entfernt worden war. Der deutsche Arbeiter Peter Eiter erkrankte an einem Tumor, der 1996 operativ entfernt werden mußte. Ein von ihm gezeugtes Kind kam mißgebildet zur Welt und starb zehn Tage nach der Geburt. „Normale“ Krebserkrankungen? Oder Spätfolgen einer Verstrahlung mit radioaktiven Stoffen?

Das wollen der BUND, der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und die Umweltinitiative Karlstein jetzt genau wissen. In einem Schreiben an das Bayerische Umweltministerium fordern die Verbände die Exhumierung der Leiche von Demirci – auf Kosten von Siemens. Denn Necati Demirci und Peter Eiter gehörten zu dem Personenkreis, der nach Störfällen im Bereich der „heißen Zellen“ im atomaren Forschungs- und Schulungszentrum der Siemens AG im bayerischen Karlstein mit Americium 241 in Berührung gekommen war. Rund 130 Menschen wurden dabei zwischen Herbst 1985 und Frühjahr 1986 radioaktiv verseucht. Doch nur bei Demirci und Eiter und acht weiteren Personen wurden – nach offiziellen Angaben – „erhöhte Belastungen durch Inkorporation“ von Americium 241 festgestellt. Ein Jahr lang hatte Siemens der Öffentlichkeit die Störfälle bei Reinigungsarbeiten in den „heißen Zellen“ verschwiegen. Danach wurde bei dem Leiharbeiter Demirci ein Gürtel sichergestellt, der eine radioaktive Verseuchung von 40.000 Becquerel aufwies. Nach Angaben seines Hanauer Rechtsanwaltes Matthias Seipel hatte Demirci mit Putzlappen und Eimer „ausgelaufene, radioaktiv verseuchte Brühe“ aufwischen müssen – ohne Schutzkleidung. Demirci war kurzfristig auch in der Fabrik der Reaktor-Brennelement-Union (RBU) in Hanau als Leiharbeiter eingesetzt gewesen.

Nach seiner Krebserkrankung zog der arbeitsunfähig gewordene Demirci vor das Sozialgericht, um sein Lungenkarziom als Berufserkrankung anerkennen zu lassen. Doch nach Auffassung der Richter in der ersten Instanz habe Demirci den eindeutigen Nachweis dafür nicht erbringen können, daß sein Lungenkrebs auf die Inkorporation mit Americium 241 zurückzuführen sei. Der Türke war starker Raucher. Vor dem Landessozialgericht sei zur Zeit noch – sozusagen posthum – ein Berufungsverfahren gegen dieses Urteil vom Januar 1994 anhängig. Weil sich die Erben von Demirci uneins sind, so Rechtsanwalt Seipel, befinde sich das Verfahren in der Schwebe.

Rechtliche Folgen hatten die Störfälle in den „heißen Zellen“ in Karlstein für die Verantwortlichen bei Siemens nicht. Die Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg stellte die Ermittlungen Ende der Achtziger ein. Das Bayerische Umweltministerium belegte lediglich einige leitende Mitarbeiter aus der Abteilung Strahlenschutz mit Bußgeldern, weil sie nicht kontrolliert hatten, ob die Leiharbeiter die vorgeschriebenen Atemschutzmasken trugen.

Ob es tatsächlich zu einer Exhumierung der Leiche von Demirci kommt, so Seipel weiter, hänge wesentlich davon ab, ob sich die Erben auf ein solches Verfahren einlassen. Doch nur die Exhumierung bringe Klarheit darüber, ob sich das Americiom 241 in den Knochen des Verstorbenen abgelagert habe oder nicht. Klaus-Peter Klingelschmitt

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