■ Welt Weit Müller: Die größte Müllhalde der Welt
Stundenlanges Warten ist vorprogrammiert. Täglich verbringen Computerfreaks Ewigkeiten vor dem Bildschirm, um nichts weiter zu tun, als darauf zu starren und sich tierisch zu freuen, wenn die Homepage von Netscape über den Monitor flimmert. Noch freudiger strahlen sie, wenn sie die Seite ihres besten Freundes vor sich haben und so viel Neues über ihn erfahren. Auch das Argument der besseren Software durch Updates aus dem Netz, zieht nicht, da die Softwarefirmen den Surfer als Versuchskaninchen mißbrauchen. Selbstzufrieden wie ein kleiner Junge klopft er sich dann auf die Schulter und prahlt vor seinen Freunden, er sei Beta-Tester von Microsoft.
Das Höchste für den Surfer ist dann, seine eigene Webpage zu gestalten, möglichst mit verschieden Fenstern, ohne aber zu wissen, was sie außer einer mageren Beschreibung seiner selbst und einem eingescannten Foto füllen soll. Die eigene Homepage ist unter Jugendlichen mittlerweile zum Statussymbol geworden, und das Netz wird noch mehr mit Informationen versorgt, die keiner braucht. Fans beschreien immer die unendlichen Möglichkeiten der Information, aber wer einmal versucht, das Telefonbuch im Internet zu benutzen, wird festgestellen, daß es einfacher ist, die Auskunft anzurufen.
Hat das Internet nun überhaupt einen Nutzen, außer kleinen (und großen) Jungen als Onaniervorlage zu dienen? Ja, aber die interessanten Dinge gehen in den Weiten des Internet verloren oder werden durch Programmierer so lange verschnörkelt, bis sie nicht mehr zu gebrauchen sind. Man kann über Internet Relay Chat (IRC) viele neue Leute kennenlernen, behaupten die Freaks. Aber schon hier stellt sich die Frage: lernt man sie wirklich kennen, oder läuft es genauso oberflächlich ab wie an anderen Stellen unserer Gesellschaft?
Man kann die Qualitäten des IRC ganz einfach an einem Experiment verdeutlichen. Man gibt sich in einem Kanal einen weiblichen Vornamen. Die Gespräche bewegen sich größtenteils auf dem Level von „Ja, hallo erst mal“, „ich geh mal schnell die Pizza aus dem Ofen nehmen“ und „wir sehen uns dann morgen wieder“. Da ist die Chance, neue Leute kennenzulernen, wenn man seinen Hintern vom Bürostuhl hebt und ins Café oder auf eine Party geht, wesentlich größer. Man kann nur hoffen, daß die Jugend nicht ihr ganzes Leben wartend vor dem Bildschirm verbringt und dadurch die menschliche Rasse zugrunde geht, denn Cybersex macht immer noch nicht schwanger. Frank J. Müller
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