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Drei Muskeltiere für Barbar Roßhaar Von Wiglaf Droste

Manchmal ist eine gestörte Wahrnehmung die einzig wahre. Als ich zum erstenmal „Die drei Musketiere“ von Alexandre Dumas las, war ich sicher, die Abenteuer dreier starker Kerle, dreier Muskeltiere eben, zu erleben. Von Musketen und anderem Schießzeug wußte ich nichts, fechten war sowieso edler und besser, und die Vorstellung von Muskeltieren bewahrte mich davor, in den Helden meiner Kindheit die gewöhnlichen Gewehrständer, Befehlsempfänger und Totmacher zu sehen, die sie mit Sicherheit waren. So wird man Romantiker.

Noch heute verursacht mir der bloße Anblick militärisch aufgebrezelter Gleichschrittmarschierer Übelkeit; die Stimme des Mitleids mit manch trottelig umherstolperndem, als Kriegsmann verkleidetem Halbkind verstummt sofort, wenn man die Kerle in Haufen sieht, keiner von ihnen dazu gepreßt oder gezwungen, ganz freiwillig, also aus Dummheit oder blanker Gemeinheit sind sie da und lernen Verbrecher und behaupten noch frech, die Vertreter des Guten auf Erden zu sein, Mitglieder eines bewaffneten und weltweit operierenden Zivildienstbataillons, helfend und heilend unterwegs zum Wohle der Menschheit. Aber so sind sie: Wer so feige ist, ballern zu lernen, der ist auch zu feige zu sagen, daß er nichts als ein Ballermann ist, eine würdelose Existenz, dem jeder, der die entsprechenden Epauletten auf der Uniformjacke trägt, sagen kann, was er zu tun hat. Soldaten sind verächtlich – und damit sind nicht nur die Angehörigen von Armeen im allgemeinen gemeint; es gilt für jeden Soldaten auch ganz persönlich. Das alles weiß ich, weil ich schon mit acht instinktiv keinen Musketier ausstehen konnte. Mein jüngerer Bruder war wesentlich phantasievoller beim Korrigieren offiziell richtiger, aber spirituell grundfalscher Wahrnehmung. In einem Schulaufsatz über den deutschen Traumkaiser Barbarossa schrieb er den Mann konsequent richtig: Barbar Roßhaar. Denn so stellte Bruder Finn ihn sich vor, und das war er ja auch, der Kaiser: ein gutturale Laute ausstoßender Heerführer, der nach Belieben Köpfe abschlug und, sehr milde ausgedrückt, nach Smegma, Schweiß und Pferdeappel stank.

Als ich vor Jahren bei einer Lyrikerin und Dramatikerin zur Untermiete lebte, gelang es mir mit Hilfe ihres guten Einflusses, meine sprachliche Wahrnehmung sogar noch zu verfeinern. Tagelang rätselte ich gespannt herum, warum Alice Millers neues Buch ausgerechnet „Abbruch der Schwiegermutter“ hieß, bis ich die langweilige offizielle Version erfuhr: Das Buch war oll und hieß „Abbruch der Schweigemauer“.

Bei einer Reise durchs Weserbergland kam ich unter anderem auch durch die Kleinstädte Boffzen und Rinteln. In meiner Wahrnehmung aber waren das Verben: boffzen und rinteln. Ha, dachte ich, wäre das nicht auch etwas für die Rubrik „Harte Welle“ in den Stadtmagazinen: „Junger Mann wünscht nach allen Regeln der Kunst gerintelt zu werden. Anschließend boffzen nicht ausgeschlossen“?

Irritiert und bedröppelt kehrte ich zurück zu meiner Lyrikerin und Dramatikerin. Sie tröstete mich, indem sie mir erzählte, sie habe es auch nicht leicht: Sie leide unter Gesäßkranzerweiterung. „Aah, verstehe“, sagte ich, „Zellulose!“ Und aller Kummer war fort.

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