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„Jeden Tag Zeitung machen? Na ja, vielleicht

Gestern erschienen, am Mittwoch gemacht: die Jugend-taz zum taz-Geburtstag. 18jährige aus der ganzen Republik übernahmen Computer und Ticker, blieben gelassen und tippten los – die „Echttazler“ standen staunend dabei  ■ Von Vera Gaserow und Dietmar Gust (Fotos)

Morgens um sieben wird in der Inlandsredaktion ein Strumpf vermißt, und in der Nachrichtenredaktion ist eine Tube Zahnpasta abhanden gekommen. Vormittags werden noch diverse Tickermeldungen verlustig gehen, dafür klebt an anderen Nutella. Am Abend wird eine beseelte taz- Chefredakteurin von einem „erstaunlichen Tag“ sprechen und dreiunddreißig, sichtlich kleinäugig gewordene junge Menschen seufzen strahlend etwas von „phänomenal“.

Das „Erstaunliche“ oder gar „Phänomenale“ kündigt sich in der taz – wie so oft – über unverfängliche Zettel an Flurwänden an. „Faxe für Jördis Heer – in Klammern Junior/taz“ hätten, bitte schön, auf dem Schreibtisch der Auslandsredaktion zu landen, steht auf einem. Ein anderer Zettel, in Gestalt eines Formbriefes, landete bei Schulleitern aus dem gesamten Bundesgebiet: „Am Donnerstag, den 17. April“, hieß es darin, „feiert die taz ihren 18. Geburtstag. Zu diesem Anlaß wird die taz ausschließlich von 18jährigen gestaltet.“ Man bitte deshalb freundlichst, die Schülerin Y und den Schüler Z vom Unterricht zu befreien.

18jährige gestalten einen Tag lang eine gerade 18 gewordene Zeitung. 18 Jahre – da schleicht sich ein gerührt-melancholischer Zug in taz-Gesichter: Mein Gott, so alt sind wir, Jessus: So jung sind die.

Die kämpften sich ja gerade erst durch den Geburtskanal, als Deutschlands erste, einzige „linke, radikale, den Umsturz der bestehenden Verhältnisse anstrebende Tageszeitung“ das Licht der Welt erblickte. Die waren weit davon entfernt, lesen zu können, was man der stolzen Gemeinde von 7.000 Abonnenten vor 18 Jahren versprach: „die Presselandschaft in Bewegung zu setzen“. Die sind gerade mal halb so alt wie der Durchschnitt der heutigen taz-Redaktion, die repräsentieren die erste Generation, die mit der taz aufgewachsen ist, nicht wahr, ganz so wie andere mit Helmut Kohl!

Dann stehen sie plötzlich da, mit Rucksäcken und Isomatten, dreiunddreißig 18jährige, und im taz- Haus in der Kochstraße weiß man nicht so recht, wie man sie anders als „irgendwie niedlich“ bezeichnen soll: „Jugendliche, junge Erwachsene, Kids?“ Vielleicht besser doch „die jungen Menschen?“. Egal. Die „jungen Menschen“ jedenfalls tun der taz beileibe nicht den Gefallen, mit ihr aufgewachsen zu sein. Erstens, weil man mit 18 Jahren nicht viel Zeit zum Zeitunglesen hat, weil – zweitens – in Mülverstedt oder Stralendorf gar keine taz zu kriegen ist, weil – drittens – die Eltern die Zeitung immer zur Arbeit mitnehmen und – viertens – weil die taz „vielleicht ja ganz gut ist“, aber eben „auch nicht so, daß man sie kaufen muß“.

Nein, sie sind nicht gekommen, um die taz zu machen, Hanna aus Eiche und Verena aus Chemnitz, Dominik aus Melle oder Christoph aus Cloppenburg. Sie wollen eine Tageszeitung machen, Schüler- und Jugendzeitungen machen sie schon. Aber nun hat die taz ihnen die Chance gegeben, einen Tag wirklich Ernst zu machen, in Zehntausender-Auflage, bundesweit. Das läßt man sich nicht entgehen, schon gar nicht, wenn man nach dem Abi – „vielleicht, aber ich weiß noch nicht so recht“ Journalist werden will. Und so haben sie geantwortet auf die Anzeige „taz sucht Volljährige“. Erst danach haben die meisten diese Zeitung erstmals zu Gesicht gekriegt und für „doch noch irgendwie alternativ“ befunden. Spannend genug jedenfalls, um morgens um vier in Cloppenburg aufzubrechen und den Rucksack zu packen, auch im Dörfchen Wedemark.

Das Experiment beginnt bereits am Vortag, dem 15. April, und wird für die zuschauende taz-Belegschaft, von den Youngsters „Echttazler“ getauft, zum Erlebnis der besonderen Art: Innerhalb einer Stunde ist das Redaktionsgebäude zur Jugendherberge mit Internet-Zentrale gewandelt. Dann beginnt die Redaktionskonferenz. Punkt 18 Uhr. Wer gehört zu welchem Ressort? Wer reißt die Ticker ab? Wer macht die Meinungsseite? Wofür die taz-Gründercrew vor 18 Jahren monatelange Diskussionen brauchte, ist in einer halben Stunde perfekt.

Aus dreiunddreißig Leuten, die sich nicht kannten, ist ein unkompliziert kooperierendes Redaktionskollektiv geworden. Ost, West, Männer, Frauen – was soll die Frage nach Unterschieden? Man versteht sich als irgendwie links und will gemeinsam eine Zeitung machen. Und eine Zeitung macht man professionell und schnell. „Gibt es kein eigenes Ressort Frauen“? Gibt es nicht, „schließlich gibt's auch keine Männerseite“. Erledigt. Muß das sein, daß wir so eine Hierarchie mit Ressortchefs haben? Muß sein. Wegen der Effizienz. Was soll auf die Tagesthemenseite? Ein tagesaktuelles Thema oder eins, das wir wichtig finden? Jugend und Presse? Vielleicht. Oder was in den 18 Jahren aus der taz und ihren Ansprüchen geworden ist?

Blöd, daß immer dieselben Leute quatschen, ist ja nicht so ganz basisdemokratisch, oder? Kurzes Meinungsbild rundum. Jeder gibt ein Votum ab. O.K., entschieden, das Tagesthema heißt „taz“. Und die Titelseite? Porträts der „Kinder-taz“-Macher, so wie die „Echttazler“ es vorgeschlagen haben? Hmm. Sieht so aus, als ob wir uns feiern wollten. Andererseits – wenn wir die Titelseite selber machen, würden wir uns doch nur streiten, wer da schreiben darf. Auf diese salomonische Konfliktlösung war das taz-Gründerteam vor 18 Jahren schließlich auch verfallen – nach tagelangen Debatten.

Noch Einwände? Nein? Dann ab zu Archivar Randy an dessen legendäre Bar zum Kennenlernen und Abschlaffen. Doch am Tresen bleiben ein paar irritierte Alttazler unter sich. Die Jungtazler haben Wichtigeres zu tun. Sie hocken in den Redaktionsräumen und feilen an eigenen Artikeln, recherchieren um die Weltgeschichte oder surfen durchs Internet. Innerhalb einer Stunde haben die 18jährigen die Kniffe der taz-Technik intus. „Ist ja bloß reichlich veraltet, euer Redaktionssystem, was Moderneres habt ihr nicht?“ Etliche haben vorsorglich das eigene Laptop mitgebracht und – man kann ja nie wissen – ein Handy dazu. Ilka mit den Streichholzhaaren hämmert die ganze Nacht an ihrem Artikel über „Frauen, Karriere und Macht“. Jens und Christoph aus Potsdam basteln an ihrer Undercover-Reportage über „Scientology“. Die Chefs vom Dienst findet man irgendwann nachts unter dem Schreibtisch, schlafend. Morgens um sechs schälen sich die ersten aus den Schlafsäcken zum Zähneputzen – und dann Richtung Computer. Um acht gellt der Lockruf „Kaffee!!“ durchs Haus.

Morgendliche Redaktionskonferenz, die alles entscheidende Sitzung für die Ausgabe, mit der JungtazlerInnen zeigen wollen, „wie wir die Welt sehen“. Die Alten im Hintergrund reiben sich die Augen. Konzentriert. Stringent. Pragmatisch. Noch Einwände. Nein? Das war's. Nach einer halben Stunde ist die Konferenz vorbei. Unglaublich diese jungen Menschen, souverän, unaufgeregt, ernsthaft, fast unheimlich.

Doch bald schon sieht man Alttazler heimlich triumphieren. Genauso schnell, wie die Kids entscheiden, genauso schnell hat sich auch Wohlbekanntes eingeschlichen. Die Auslandsredaktion in Frauenhand bestens organisiert, hat weit vor der Zeit den Seitenplan fertig. Das Inlandsressort, wie eh und je die Domäne der selbsternannten politischen Köpfe und männlichen Selbstdarstellungsgenies, hat grandios verschlafen. Immerhin hat man bereits beim Frühstück ausgiebig die Gewaltfrage diskutiert und gestritten, ob im Gorleben-Artikel das Wort „Steinewerfer“ nicht gegen „sogenannte Autonome“ ersetzt werden muß.

Die Chefs vom Dienst in der Nachrichtenredaktion sind cool, wie es sich gehört. Antje geht mitten in der Zeitungsproduktion „mal eben zur Bio-Klausur“. Auch die Selbstverwaltung – „davon hat die taz sich ja leider so ziemlich gelöst“ – erweist sich so anstrengend wie immer. „Scheißbasisdemokratie“: Jens rennt durch die Stockwerke, weil abgestimmt werden muß, ob der Stern auf dem „i“ im taz-Titel, rot, rotschwarz, grün oder lila sein soll. Rotschwarz wird er schließlich, „weil das eine politische Frage und keine Frage von Komplementärfarben ist“ – und weil Jens bei der Strichliste vielleicht doch zugunsten der eigenen Präferenz gemogelt hat.

Auch mit der Gleichheit in einem Projekt ist das so eine Sache. Gerade haben die 18jährigen mit taz-Gründerin Ute Scheub gestritten. Ob das gerecht ist, daß Putzleute nicht den gleichen Lohn kriegten wie Redakteure, da stellt sich die Frage, wer die verdammte Tonbandkassette nun abschreibt. „Können doch die Tippsen machen“, entscheiden die gerade noch wortstarken Radikalen.

Nach einem halben Tag bahnt sich schließlich auch der Konflikt an, den tazlerInnen bis zur Perfektion beherrschen: „Der Sebastian, wie der sich als Chef aufspielt!“ – „Arrogantes Arschloch!“ – „Diese Chefs, die müssen wir rausschmeißen!“ Zwei Tage länger – und die so harmonisch zusammengewürfelte Truppe würde sich wohl kräftig zoffen. Die Frauen würden gegen die Männer rebellieren, die Schreiber gegen die Planer, die Wortradikalen gegen die „Scheißrealos“. Das hat etwas Beruhigendes für die Alttazler.

Aber an diesem einen Tag läuft alles wie im Bilderbuch. Die Echttazler, zur technischen Hilfestellung für die „Kinder“ in die Redaktion gekommen, konstatieren fast düpiert, daß sie „eigentlich gänzlich überflüssig“ sind, die Technik lobt: so easy wie selten, „die haben alles im Griff“, taz-Geschäftsführer Ruch rechnet schon durch, „wieviel billiger die Zeitung käme, wenn wir sie immer von 18jährigen produzieren ließen“, und Säzzer Georg träumt davon, die Youngsters „würden einfach immer weitermachen“.

Weitermachen? Morgen? Am Ende des taz-Tages, sichtlich ermattet, antworten „die jungen Menschen“ eher verhalten: „Jeden Tag Zeitung machen? Na ja, vielleicht doch nur jeden zweiten.“ Doch als sie dann die ersten Seiten ihrer Zeitung in Händen haben, hält auch das coolste Understatement dem Macherstolz nicht stand. „Mensch, geil! Haste gesehen, mein Artikel.“ Die Zeitung ist längst fertig, die ersten sind bereits auf dem Nachhauseweg, um für die Chemie-Klausur zu büffeln, da sitzen Ilka und Katja noch immer am Computer. „Wir hatten einfach Bock, weiter zu schreiben.“

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