piwik no script img

Wahrheitsgarten

■ Sandra Strunz' Diplominszenierung „Meine erste Frau hieß Zwieback“

Kochrezepte neben Wasserstoffverbindung, Sophismen neben Bierseligkeiten, Sternbilder neben Pin-ups. Und auf einmal hängt alles mit allem zusammen, ist die Welt kein heilloser Scherbenhaufen mehr, sondern eine individuell komplettierbare Enzyklopädie. Und die ist über irgendwelche Schleichwege im Garten von Armand Schulthess gestrandet. Blatt für Blatt, Wahrheit für Wahrheit, Schwachsinn für Schwachsinn, angeordnet nach den skurrilen Gesetzmäßigkeiten des Schweizer Dessousverkäufers.

Thresenedikte, seltsam symmetrische Bügelrituale, schmerzhaft vermittelte Erziehungsmaßnahmen wie „Iß deine Suppe auf, dann bist du obenauf im Dauerlauf“, aber auch Zärtlichkeiten wie die Erinnerung an den ungelenken Magnetismus zwischen der schamdampfenden Angestellten und dem verzückt schikanierenden Chef Schulthess zirkulieren durch Sandra Strunz' beeindruckende Inszenierung Meine erste Frau hieß Zwieback – Das Leben des Armand Schulthess.

Strunz' Diplomarbeit vergibt die Bühnenexistenz des realen Faktotums an mehrere Akteure. Mal als eigenes Echo, mal als Strohmann seiner selbst streunt Schulthess so über den Bühnengarten, in dem die Fragmente seines Lebens blühen. Dabei bleibt es ganz egal, was die Schulthesses unternehmen, ob sie Wasserleitungen verhökern, ihre altväterliche Erregung bis zum Slapstick verzappeln oder chemische Tabellen durchdeklinieren. Immer scheinen sie von dem, was sie gerade treiben, so überzeugt zu sein, daß sie das Warum gar nicht mehr brauchen. Und wenn sie sich mal herzzerreißend in den Boden schämen oder vor Heiratsfreude fast umkommen, beweisen Schauspieler und Regie sicheres Gespür für den freundlichen Fatalismus der Figuren und das Timing grotesker Langsamkeit oder rasanter Stimmungswechsel.

Verborgen hinter manchmal grandioser, manchmal auch platter Komik und einem Stil, dessen Reinheit und absurde Eleganz einen irritiert, ist immer auch der fortgesetzte Fallbericht eines Mannes zu erkennen, der sich an den Widerständen der Wirklichkeit bitter reibt. So lange, bis das gebastelte Paralleluniversum geräumig genug ist für alle unendlichen Möglichkeiten. Komplex, bizarr und bis zum Ende berührend.

Birgit Glombitza

heute, 21 Uhr, Kampnagel, k1

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen