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■ VorschlagHalten spaßhafte Ordnung: Rosa Cavaliere im Saalbau Neukölln

62 nackte Füße auf einem großen rosa Tuch. Ein Wecker klingelt, die Zehen wackeln, aus Männerkehlen tönt es wie erzener Schall: „Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag...“

Es gibt ihn noch, den deutschen Männergesangsverein. Vor sieben Jahren formierte sich der Schwulenchor Rosa Cavaliere. Seitdem sangen sich die begeisterten Laien quer durch die Musikgeschichte. Mal traten sie mit gregorianischen Gesängen und Schubert-Liedern auf, mal mit Operettenmelodien und Schlagern der siebziger Jahre. Ihr neues „Familienprogramm“ bedient sich aus dem ganzen Repertoire.

Daß man nie weiß, was als nächstes kommt, macht den größten Reiz dieses Abends aus. Auf den Uraltschlager „Kalkutta liegt am Ganges“ folgt eine viersprachige Version von „Go West“, auf den strammen Marsch „Märkische Heide, märkischer Sand“ ein Kölsches Gospel.

Ein bißchen spaßhafte Ordnung halten die Rosa Cavaliere trotzdem, ihr Programm reicht vom Morgen bis zum Abend. Morgenlieder trällernd, ziehen sie die Nachthemden aus und Wanderkluft an, treiben Gymnastik und frühstücken. Sonntag soll es sein, ein Sonntag wie in alten Kinderbüchern, mit Familienausflug und Kaffeeklatsch.

Überhaupt ist die Sehnsucht nach der Kindheit das Leitmotiv des Konzerts. Den musikalischen Leiter und Pianisten Thomas Noll unterstützen seine Sänger mit Plastiktrompeten und Spielzeugmandolinen, sie spielen Blindekuh und üben Seilspringen, und zwei Gruppen liefern sich ein erbittertes Tauziehen – natürlich passend zum Lied „Ein bißchen Frieden“.

Das Programmheft schmücken Kinderfotos der Mitwirkenden. Und wenn die Zeit für Gute-Nacht-Lieder gekommen ist, holt jeder sein Stofftier aus dem Wanderrucksack. Die Sänger gehören ganz unterschiedlichen Altersgruppen an, aber die altmodischen Kinderspiele scheinen allen gleich viel Spaß zu machen. Die ironischen Übertreibungen sind nur ein Vorwand, um desto intensiver in Nostalgie zu schwelgen.

Genau wie auch die ganz verjährten Schnulzen, etwa „Gute Nacht, Mutter“, eben nicht nur durch unfreiwillige Komik erfreuen, sondern auch durch jenen sonoren Wohlklang, den nur ein Männergesangsverein hervorbringen kann – dynamisch und einlullend zugleich. Der Zuschauer wird wieder zum Kind, die Zuschauerin entwickelt Muttergefühle. Keine Frage: ein Programm für die ganze Familie. Miriam Hoffmeyer

Heute und morgen jeweils 15 Uhr und 20 Uhr im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141

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