Mit gelösten Bremsklötzen

■ Sie gaben sich die Kante und uns die Kunst: „Betrunkene Autoren“

Daß Literatur und Alkohol ganz gut zueinander passen, ist hinlänglich bekannt. Die Dichter-Biographien eines O'Brien, Lowry, Hemingway oder Hoffmann, Heine, Johnson belegen die geistesbelebende Kraft geistiger Getränke. Arno Schmidt bringt es auf den Punkt: Alkohol dient als „Strategischer“Kreativitätskatalysator, „um die Bremsklötze zu lösen“. Der Mitwelt blieb die Live-Beobachtung alkoholisierter Literaten bisher jedoch zumeist versagt.

Diesem soziokulturellen Notstand wurde am Samstag im St.-Pauli-Clubheim energisch entgegengetreten. Angekündigt waren schlicht und ergreifend „Betrunkene Autoren“bzw. die „erste öffentliche Studie des Einflusses des Alkohols auf die zeitgenössische Literatur“, initiiert vom LAOLAclub. Herbeigepilgerte Alkohol-Voyeuristen wurden nicht enttäuscht, denn die zehn vortragenden Nachwuchsautoren boten sich in der stammtischmäßigen Atmosphäre als äußerst fachmännische literarische Kampftrinker dar. Die reihum Rezitierenden waren ordentlich mit Namensschildchen versehen, und der jeweilige Promillestand wurde fortlaufend tabellarisch festgehalten. Auch das Publikum frönte ausgiebig dem Genuß belebender Getränke und kam schon dadurch auf seine Kosten (die nebenbei in einer Spende für die Getränkekasse der Vortragenden bestanden).

Die fortschreitende kollektive Alkoholisierung führte aber leider nicht zu einem generellen Interessanterwerden des Dargebotenen. Dafür trennte sich unter dem Einfluß von Hopfen und Malz umso deutlicher die Spreu vom Weizen. Herausragend waren dabei die Kostproben von Lars Dahms, Iven Fritsche und vor allem Kai Damkowski. Im Rahmen der immer Poetry-Slam-artiger werdenden Veranstaltung machten sich auch der „Nichts in Stellingen“-Song von Michael Weins (1,9 Promille) und lyrische Gedanken zum Thema Alkohol von Tina Uebel (1,5 Promille) nicht übel.

Daß vieles tatsächlich in die Rubrik „Gedichte, die die Welt nicht braucht“– so der Titel eines vorgetragenen Werkes – fiel, bewahrheitete damit zugleich die Vermutung, daß einem alkoholischen Rausch nicht zwangsläufig ein literarischer folgen muß – oder wie der Lateiner sagt: In vino veritas.

Christian Schuldt