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■ NachschlagSurrealistische Recherchen im Westlichen Stadthirschen

Wer nichts zu bekennen hat, dem geht es schlecht. Das war Ende der 20er Jahre im bureau surrealiste – Paris, 15, rue de Grenelle – kaum besser als bei Schreinemakers und in der Heiligen Inquisition. Auch in den besten Zeiten des Anarchismus blieb der Tabubruch ein enttäuschendes Geschäft, denn im Licht der Öffentlichkeit schrumpelte das Obszöne weg wie Regenwürmer in der Sonne. Nur selten beflügelte das Verhör durch die Gruppe die Phantasie so sehr wie im Falle des jesuitisch geschulten Paters Jean Genbach, dem bei der Frage „Schlafen Sie lieber mit dieser alten Frau oder mit einer Leiche?“ der Mund plötzlich trocken wurde. Davon erzählt das Theater Mahagoni zusammen mit den Stadthirschen Dominik Bender und Johannes Herrschmann in der Koproduktion „...sexualité“.

Basierend auf Gespräch-Protokollen der Surrealisten, läßt die Inszenierung von Albrecht Hirsche nicht viel übrig vom aufklärerischen Gestus der notorischen Befreier des Unbewußten. Ihre Erben aus der Rock-Revolte werden per Körpersprache und Haartracht gleich mit verrührt in dem Topf, in dem auch Fußballfans, Wissenschaftsexperten und eine dem Kölner Karneval entliehene Urhorde schwimmen. Das ganze großartige Projekt der Moderne nichts als ein misogyner Männerbund, geprägt von Menstruationsekel und homosexuellen Berührungsängsten? Die Frauenbewegung hat diesen Befund ja schon immer geahnt, aber in einem bleibt das Stück auch für sie unbefriedigend: Wo es um Männerphantasien geht, ist die reale Frau überflüssig.

Männer sind häßlich, albern, überspannt und als Frauendarsteller erst recht. Auf dem Widerspruch zwischen linkischen Körpern und den großspurigen Worten basiert der groteske Witz der Aufführung. Der Text ist historischer O-Ton, die Rollen aber stammen aus dem Comic „Peanuts“, mit dessen infantilen Rivalitätsritualen sich noch einmal eine ganze Generation vor dem Erwachsenwerden schützte. Übersetzt in die ewig beleidigte Lucy, büßt Bretons Herrschsucht noch den letzten Rest von Erotik der Macht ein. In kurzen Kleidchen und engen Hemden, die jede Männerhand zum befremdlich schlackernden Anhängsel machen, scheint keiner er selbst in seiner Haut. Variantenreich wird das Basteln am Ich verfolgt: Völlig entspannt rollen sich die Männer in Teppiche ein. Dieses staubige Zurück-in-den-Mutterleib beschließt den Männlichkeitswahn für diesen Abend. Trübe Aussichten für Frauen. Katrin Bettina Müller

Aufführungen im Theater zum Westlichen Stadthirschen, Kreuzbergstr. 37: 25.-27. und 30.4., 1., 2. und 7.-11., 14.-18.5., 20.30 Uhr

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