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Tüten tragen statt Miete blechen

■ Die Nase voll von der Wohnungssuche? Wenig Geld für eine Bleibe? Das Projekt „Wohnraum gegen Hilfe“ vermittelt günstige Studentenbuden bei älteren Damen und Herren

Daß Geld unentbehrliches Tauschmittel einer Marktwirtschaft und Naturaltausch kontraproduktiv ist, lernen StudentInnen der Wirtschaftswissenschaften bereits im ersten Semester. Was aber, wenn man nicht genügend Bares hat, um seine Bedürfnisse theoriegerecht befriedigen zu können, dafür aber jede Menge Zeit und Fähigkeiten? Das Bedürfnis nach einem sonnendurchfluteten Zimmer in einem Häuschen im Grünen zum Beispiel. Ganz einfach: Man bietet Zeit und Fähigkeiten an, tauscht Hilfe gegen Wohnraum – und schlägt der Theorie ein Schnippchen.

Möglich ist dies beim Projekt „Wohnraum gegen Hilfe – Mobiles Interaktionsteam“, das von der gemeinnützigen Qualifizierungs- GmbH ZIM (Zeit und Ideen für Menschen) getragen wird. Die Idee des Vorhabens ist simpel und genial zugleich: „Alte Menschen, die in ihren Wohnungen Platz genug für Untermieter haben und gerne jemand um sich hätten, der ihnen als Gegenleistung Gesellschaft leistet oder beim Einkauf hilft, bringen wir mit Studenten zusammen, die eine Wohnung suchen“, erläutert Projektleiterin Ute Klare.

Ähnliche Projekte gibt es bereits in Darmstadt und sind auch für Österreich und Frankreich geplant. Wieviel Hilfe monatlich zu leisten ist, hängt dabei entweder von der Größe der Wohnung ab oder kann im Mietvertrag anderweitig vereinbart werden. Ein Quadratmeter unentgeltlich überlassener Wohnraum entspricht in der Regel einer Stunde Hilfe. Geschlossen werden die Mietverträge erst nach einer Kennenlernphase. Zur Sicherheit beträgt die Kündigungsfrist beider Seiten nur zwei Wochen.

Als Ute Klare im Sommer 1996 das Projekt per Aushang in der Uni ankündigte, fanden sich nur wenig alte Menschen, die Wohnraum gegen Hilfe anbieten wollten. Das änderte sich erst, als Ende vergangenen Jahres die Wilmersdorfer Bezirksstadträtin Martina Schmiedhofer die Schirmherrschaft für das Projekt übernahm und die Wilmersdorfer Seniorenvertretung die Aktion unterstützte.

Mittlerweile gibt es die ersten stabilen Wohngemeinschaften zwischen Alt und Jung, stehen wohnungssuchenden Studenten etwa gleichviele Anbieter gegenüber. Und die wohnen vor allem im grünen Bezirk Zehlendorf und in Wilmersdorf. Manche sogar in hübschen Villen mit Garten. „Besser hätte ich's gar nicht treffen können“, freut sich Andreas Klein, der vor kurzem in ein Reihenhaus in Schöneweide einzog. Bislang läuft es gut. Daß er alten Herrn ab und zu behilflich ist, findet der 32jährige Pädagogikstudent nicht zu stressig: „Das ist auch unter sozialen Gesichtspunkten eher selbstverständlich“.

Die besten Chancen auf eine Zimmer über „Wohnraum gegen Hilfe“, haben in der Regel Studentinnen, sagt Ute Klare. Die Nationalität spiele keine Rolle, ein absolutes Muß seien hingegen deutsche Sprachkenntnisse. Irina Schefer

„Wohnraum gegen Hilfe“, Wangenheimer Straße 27, 14193 Berlin, 8914563, Sprechstunden für Wohnungsanbieter und -bewerber montags von 10 bis 12 Uhr.

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