: „Ganz bewußt die Wahrheit beschnitten“
■ Grüne werfen ehemaliger SPD-Regierung vor, von Altlasten in Hemelinger Marsch gewußt zu haben
Für die Grünen ist es jetzt amtlich: Daß in dem geplanten Gewerbegebiet Hemelinger Marsch Altlasten liegen, hätte die damalige SPD-Regierung schon 1991 gewußt. Tatsächlich ist in einer Antwort des Wirtschaftsressorts, die heute im Senat beraten werden soll, von einer „Dampfziegelei“und von „Tongruben mit Schutt“die Rede. Doch weil der Hemelinger Ortsamtsleiter diese Angaben aus Gesprächen mit Landwirten nicht weiter „konkretisiert“hätte, sei das Land schließlich gekauft worden.
Vor knapp einem Monat waren Bombensuchtrupps bei Vorarbeiten zufällig auf Produktionsreste der Firma Borgward (Kunstleder), Asbestzement (Toschi) sowie Bauschutt und Öl aus einer alten Ziegelei gestoßen. Die Sanierungskosten rangieren jetzt zwischen 20 und 80 Millionen Mark.
„Bremen hat sich eine teure Müllkippe gekauft“, schäumt jetzt Helga Trüpel, wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, die sich von Anfang an gegen das geplante Gewerbegebiet stark gemacht hatten. Die damals alleinregierende SPD hätte den Grundstückskauf nämlich „so schnell wie möglich vor dem Wahlkampf durchpeitschen“wollen. Der Kaufvertrag zwischen der vom Senat beauftragten landeseigenen Hibeg (Hanseatische-Industriebeteiligungen GmbH) und den Hemelinger Landwirten ging tatsächlich knapp sechs Wochen vor dem Wahltag im August 1991 über die Bühne.
Damals hatte die Hibeg das rund 25 Millionen teure Grundstück für etwa 23 Mark pro Quadratmeter erworben. „Wenn vorher das mit den Altlasten ruchbar geworden wäre, hätte die SPD den Grundstückskauf zu diesem hohen Preis niemals durchbekommen“, ist sich Helga Trüpel von den Grünen sicher. Vor allem die damalige SPD-Umweltsenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte hatte wegen des hohen Kaufpreises heftigst gegen das Projekt opponiert. Doch „Wedemeier (ehemaliger SPD-Bürgermeister, Anmerk. d. Red.) und Haller (Staatsrat im Wirtschaftsressort sowie Vorsitzender des Hibeg-Verwaltungsrates) wollten das durchboxen“, so Trüpel.
Von teuren SPD-Hinterlassenschaften und der Verheimlichung von kontaminiertem Boden wollen ehemalige SPDler jedoch nichts hören. Dem ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Claus Dittbrenner, fällt nur noch ein, „daß wir das Gebiet damals möglichst schnell erschließen wollten.“Auch der ehemalige wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Andreas Lojewski (heute AfB-Fraktionssprecher) erinnert sich nur dunkel: „Ja, ich hatte mit der Marsch zu tun“, sagt er. Doch das mit dem bewußt schnellen Grundstückskauf sei „Unfug. Das ist innerhalb der SPD ein langer Diskussionsprozeß gewesen“, sagt er. Zum Thema Bodenbelastung habe es nur „nicht verifizierbare Gerüchte“gegeben.
Von diesen Gerüchten weiß auch der Hemelinger Beiratssprecher Kurt Schuster (SPD). Schließlich seien die von Landwirten bei einer öffentlichen Anhörung gegenüber der Wirtschaftsbehörde und den Fraktionen geäußert worden. „Da war auch der Lojewski“, erinnert sich Schuster. Den Wirtschaftsstaatsrat Haller hätten diese Berichte über 60 Jahre alten Industriemüll „aber nicht ins Konzept gepaßt. Die hat er geflissentlich überhört.“Man wolle jetzt dem Ortsamt die Schuld in die Schuhe schieben. Dabei „konnten wir denen doch nichts Konkretes sagen, wir wußten doch nicht, wo das Zeugs genau liegt.“
Zu den Vorwürfen gegen den Wirtschaftsstaatsrat Frank Haller gab das zuständige Wirtschaftsressort bisher nur folgende Stellungnahme ab: „Das mit den Belastungen ist wohl damals nicht bekannt gewesen“, so die zuständige Sprecherin Christine Stratmann. Die Hibeg-Geschäftsführer äußerten sich auch nicht, sie weilen nach Auskunft der Geschäftsstelle im Urlaub. Die Grünen wollen das Thema jetzt auf der nächsten Bürgerschaftssitzung beraten. kat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen