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Die Platte, die vom Himmel fiel

Harfen, Zimbeln und allerlei Engelskram: Prefab Sprout haben nach sieben Jahren ein tolles neues Album gemacht. Vierdimensional erzählt es von Singvögeln, apokalyptischen Reitern und der Liebe zu verheirateten Frauen  ■ Von Thomas Groß

Stellen wir uns die Sache so vor: „Andromeda Heights“ ist ein Ort ohne Autobahnabfahrt, Postadresse oder Internetanschluß. Reichlich entlegene Weltgegend also, leicht dornröschenhaft, Mitte von nirgends; umstellt zudem von den diversen Fettnäpfchen überkommener Kostbarkeit, die mit der Zeit nicht kleiner geworden sind: der poetischen Chimäre vom „perfekten Popsong“, der Vorstellung von Zauberwort und Zeitenwende sowie der im Lande Pop, wo ja immer alle jung sein und gleich nah zur Sonne stehen wollen, nicht sonderlich populären Idee, die Gegenwart sei womöglich doch nicht die beste aller Welten, Fortschritt habe auch etwas mit Verlust zu tun.

Ohne einen gewissen Mut zum Antizyklischen ist allerdings nicht zu haben, was diesen Ort ausmacht – weder für den Consumer noch den Erzeuger. Sieben Jahre hat es gedauert, bis Paddy McAloon mit einem neuen Prefab-Sprout-Album herauskam, sieben gewissermaßen biblische Jahre, in denen die Schar der Anhänger sich immer weiter in alle Winde zerstreute, ihre allerliebsten Lieblingstitel fast vergaß, neue Vorlieben in Besitz nahm, den Kulturkampf kämpfte, Techno entdeckte, die Errungenschaften des Tracks gegenüber dem Song pries, tapfer den Verlockungen des Teufels Kulturpessimismus widersagte, dabei abwechselnd hart oder auch ziemlich easy draufkam und sich höchstens beiläufig mal fragte: Hey, was mag wohl aus den Brüdern McAloon geworden sein? Aus Wendy, der ätherischen Freundin im Bunde? Wo kamen sie gleich noch her? Newcastle?

Jetzt, im schönen Mai, wo „Andromeda Heights“ heraus ist, sind natürlich alle auf dem falschen Fuß erwischt, keiner mag es so recht mehr glauben, und das Erkennen ist ein mittlerer Schock. Wie eine Platte vom Mond fällt das Teil ohne Vorboten und Begleiter auf eine grundlegend anders orientierte Gesamtlage – ein kryptonitaler Brocken voller prätechnoider Melodieeinschlüsse, mutwilliger Faxen und Arrangements wie aus Zeiten, in denen die Produktionskosten für diese Art von Opulenz noch tragbar schienen.

Gleich der Opener reitet mit hochmelancholischen Sporen einher: „Electric Guitars“, ein Stück über die Beatles, die als Name oder lustige Zeitcharaktere gar nicht mehr auftauchen, sondern nurmehr als Metapher einer Popmusik-ist-größer-als-Jesus-Ära, die retrospektiv abmoderiert wird. „We were songbirds, we were greek gods, we were singled out by fate“ – das alles gab es einmal also, ganz großes Midtemposchwelgen in Memento einer Schallwandler-, Ausdrucks- und Mädchenerreichungstechnik, die bereits so weit nostalgisch geworden ist, daß sie sich im gleichen Idiom gar nicht mehr fassen läßt. Nichts dröhnt, fuzzt, twistet oder shoutet, will dich noch einmal kaschen mit dem Appell an die bloß tiefergelegte Erinnerungsspur. Statt dessen hochcodiertes, trotz sentimentalischer Wendungen gefriergetrocknetes Operieren an der Grenze zu Melodram und Schwulst.

„Electric Guitars“ ist kein Rocksong, sondern der Pastiche, der Schatten eines Rocksongs, genauso wie „Anne Marie“ das Boy- meets-Girl-Schema nurmehr zitiert, um von der Liebe zu verheirateten Frauen zu erzählen. Er, der Sänger, hört „strange music in undiscovered keys, when you're with me, when you're with me“. Dazu Harfen und Zimbeln und allerlei Engelskram, der im stillgestellten Format siedelt, um von dort aus um so mächtiger aufzusteigen. „Andromeda Heights“, man glaubt es kaum, ist ein Album über die Liebe in ihrer ruhelosen, romantischen Gestalt. Entgegen der laufenden Weltformatierung in immer reibunglosere, schnellere, geldförmigere Ströme von Information und Austausch – und das ist der Mainstream der Technowelt –, behauptet es einen Rest an Poptranszendenz, der hier allerdings nur im Rückgriff auf allerveraltetste Kulturgestalten noch faßbar wird.

Das Stück, das die Pet Shop Boys gerne im Repertoire haben wollten, aber sich nicht zu texten trauten, heißt „The fifth Horseman“. Die Liebe, chantet der 39jährige Exstudent Paddy McAloon ebendort, und durchaus im Bewußtsein seines grandiosen Spinnertums, sei der fünfte Reiter der Apokalypse.

Glaubwürdig – oder überhaupt erst möglich – wird der hochgestimmte Bibelton dieses auch im Wortsinn phantastischen Albums nur, indem der Sänger zugleich Schreiber ist. Nicht im traditionellen Sinne der Fixierung in Notenschrift, aber in der Beerbung eines Pathos der Autorschaft, dem Writing-Element am Songwriting. Statt die Welt im Hinblick auf digitale Operationalisierbarkeit zu durchmustern, Maschinen den Klangrohstoff ausprozessieren zu lassen, betreibt McAloon Anverwandlung. Er jagt all das, was an Fremd- und Eigenfrequenz so einfällt, durch einen inneren Resonanzraum, der nach durchaus altmodischen Vorstellungen von Subjektivität eingerichtet ist. „No one, no one's gonna steal your thunder“: Ein unverschuldet vom Zeus- auf Zwergenformat geschrumpfter Ausdruckswille erzählt von seiner trotzigen Bereitschaft, das eigene Innere als kostbares Gefäß zu betrachten, dessen Inhalt es immer wieder neu zu bergen gilt.

In dieser Technik spätestbürgerlicher Verfeinerung trifft sich Paddy McAloon viel eher mit einem Mann wie Peter Handke als mit, sagen wir, den Chemical Brothers, und keine Droge könnte ihm ferner sein als das widerstandsbeseitigende Ecstasy. Allerdings verwirklicht er sein Kuckucksheim nicht im Rückzug von der medialen Welt, nein: er konkurriert. Und er tut dies auf die durchaus terroristische Weise eines Vereinzelten. Von der Band Prefab Sprout ist nicht viel mehr geblieben als ein Fototermin, auf dem Wendy Smith hübsch nordenglisch ausschaut wie Penthesilea in „Für alle Fälle Fitz“ und Bruder Martin im Hintergrund verschwimmt. Sie sind mehr denn je Komparsen im Geisterstudio des Meisters, der seinen Willen zum Sound in immer komplizierteren Arrangements verwirklicht, allerneueste, dem Kino entlehnte 4- D-Raumklangverfahren zum Einsatz bringt und sein eigenes privates Hollywood durchzieht – bis dem Urschlamm der Gefühle unter Pauken und Trompeten eine denkbar einfache Botschaft entsteigt: „Life's a miracle“. Oder: „We're building our home on love & respect.“ Auf der Pappe des Zigarettenpapiers der Selbstgedrehten, die ich gerade rauche, sagt Oscar Wilde dazu: Die einfachen Dinge sind der letzte Trost komplizierter Menschen.

Es ist also wohl doch noch einmal der Dandy mit seinem zwiespältigen Verhältnis zur Moderne des Tages, der hier, als Orpheus verkleidet, den Sehnsuchtsgesang anstimmt. Die Nacht ist endlos blau und voller seltsamer Geister, die das WWW so noch nicht besungen hat. Erst morgen wird der Browser wieder angeworfen.

Prefab Sprout: „Andromeda Heights“ (Kitchenware/Sony)

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