: Placebos oder Pendeln?
■ Die Kassen übernehmen nicht immer die Kosten alternativer Heilverfahren, denn ihr medizinischer Nutzen ist umstritten. Doch der Glaube kann Berge versetzen ...
In den USA begann im April ein Versuch, die Wirkung des Betens auf die Heilung zu ermitteln. 600 ProbandInnen werden – vor einer Herzoperation – in drei Gruppen eingeteilt. Die erste weiß, daß man für sie betet. Der zweiten und dritten Gruppe wird die Fürbitte unverbindlich angekündigt. Nur für die ersten beiden wird aber tatsächlich gebetet.
Egal, wie der Versuch ausgehen wird – „therapeutischer Nutzen“ wird dem Beten sicher auch in Zukunft nicht „nachgewiesen“. Dieser Nachweis ist allerdings grundsätzlich das Kriterium, nach dem die Kassen entscheiden, welche Medikamente sie „übernehmen“. Allerdings bestätigen auch hier Ausnahmen die Regel: „Bei der Beurteilung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen wie homöopathischen, phytotherapeutischen und anthroposophischen Arzneimitteln ist der besonderen Wirkungsweise dieser Arzneimittel Rechnung zu tragen“, verlangt das Gesetz (Sozialgesetzbuch V, Paragraph 34). Und aus dem Wörtchen „wie“ hat das Bundessozialgericht am 16. Juli 1996 gefolgert, daß dieser Schutz nicht nur für die drei genannten Denkschulen gilt.
Damit brauchen sich die RichterInnen auch nicht an den Definitionen der einzelnen Lehren abzumühen. Vor allem „Phytotherapie“ ist schwer abzugrenzen. Übersetzt heißt der Begriff einfach „Pflanzenheilkunde“. Kein Mediziner würde diese Wurzel der Pharmakologie verleugnen wollen – gleichwohl wird als „Phytotherapie“ häufig nur die bewußt chemiefeindliche Variante verstanden, die unter der Forderung „Zurück zur Natur“ steht.
Anthroposophie und Homöopathie sind jeweils durch identitätsstiftende Begründer geeint. Sind für das anthroposophische Menschenbild, auf Rudolf Steiner fußend, kosmische Einflüsse und Dreigliederungen charakteristisch, konzentriert sich die Homöopathie Samuel Hahnemanns auf das Ähnlichkeitsprinzip: Krankheiten heilt man, indem man einen – wenngleich auch stark verdünnten – Erreger verabreicht, der ein ähnliches Leiden auslösen würde (zur Homöopathie s. Artikel Seite 19).
Die Ursprünge anderer Verfahren liegen zeitlich oder räumlich weiter weg. Hildegard von Bingen, von verschiedenen Kräuter-Fans in Anspruch genommen, schrieb ihre Theorien und Rezepte im Mittelalter. Fernöstliche Verfahren wie Ayurveda gewinnen dagegen Überzeugungskraft, weil sie zu Hause millionenfach verbreitet sind.
Wegen der bewußten Abgrenzung von der „Schulmedizin“ sind nicht alle alternativen Anwender interessiert, für ihre Methoden die Weihen der etablierten Wissenschaft zu bekommen. „Bei vielen diagnostischen Verfahren ist man in der Schulmedizin verpflichtet, Versuchsreihen zu machen oder Blutproben zu analysieren, um festzustellen, ob man richtigliegt“, erklärt Malte Bühring, Professor für Naturheilkunde an der Freien Universität (FU) Berlin. Anerkennung für bislang vernachlässigte Elemente der seriösen Naturheilverfahren zu erreichen, sei ein „beständiger Kampf, den ich führe“, sagt der bislang einzige deutsche Professor naturheilkundlicher Ausrichtung. Von unwissenschaftlichen Methoden distanziert er sich indessen deutlich.
Als wissenschaftlich zuverlässig gelten die Double-Blind-Versuche, bei denen weder Arzt noch Patient wissen, ob mit Wirkstoff oder ohne experimentiert wird. Manche alternativen Verfahren, etwa die „Elektroakupunktur nach Voll“, wären auf die Zuverlässigkeit ihrer Methoden nicht ausreichend geprüft – und fänden keine allgemeine Anerkennung. „Kontrollen könnten so aussehen, daß man Patienten von mehreren unabhängigen Ärzten untersuchen läßt und die Resultate vergleicht“, meint Bühring. „Aber die wissen wahrscheinlich schon, warum sie das nicht machen.“
Andere bemühen sich mehr. „Die Homöopathen versuchen das sehr ehrlich und mit großem Aufwand“, lobt Malte Bühring. Bei Double-Blind-Versuchen hätten die homöopathischen Ärzte „keine oder allenfalls marginale Erfolge“ für ihre Therapie vorzuweisen. Das sei jedoch nicht überraschend und widerlege auch nicht die Wirksamkeit. „Da ist der psychologische Effekt sicher das treibende Moment. Der geht beim Double-Blind-Versuch verloren.“
Der Placebo-Effekt spielt bei Behandlungen schließlich eine wesentliche Rolle. Vor allem bei abergläubischen Menschen sind beachtliche Erfolge drin. Und wenn Martin Luther nicht gewesen wäre, lägen manche nicht so lange flach: „Der gläubige Katholik ist einfacher zu behandeln als der kritische Protestant“, zitiert die Bühring die Erfahrungen einer „Heilerin“. Mit Versuchsreihen Anerkennung zu finden ist auch aus finanziellen Gründen schwer. Wer die Wirksamkeit einer Tablette untersucht, kann in der Pharmaindustrie Geld lockermachen. Aber welche Firma würde Studien bezahlen, die zeigen sollen, daß es mit Hausmitteln besser geht?
Schon in vierter Auflage hat die Stiftung Warentest ihren kritischen Ratgeber „Die Andere Medizin“ herausgebracht. Die Resonanz aus der Branche war nicht immer freundlich, wie Vera Herbst, eine der Autorinnen, berichtet: „Wir haben einige Prozesse durchzustehen gehabt – und alle gewonnen“.
Von „Mineralwässer“ über „Mayr-Kur“ bis zu „Thermoregulationsdiagnostik“ reichen die Stichworte, und auch die Bewertungen sind sehr verschieden. Ernsthafte Argumente für und wider die behaupteten Erfolge finden sich ebenso wie Originalzitate, die den Lachmuskel der LeserInnen stimulieren könnten. Gleichwohl erfährt man die Adressen der Anbieter – und auch die Finanzierungschancen. Lapidar schließt etwa das Kapitel, in dem die Diagnose durch „Pendeln“ vorgestellt wird: „Die Krankenkassen erstatten die Kosten nicht.“ Matthias Fink
Stiftung Warentest, Handbuch: „Die Andere Medizin“, 4. Auflage, 1996
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