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Die Prostitution der frühen Jahre

Sie nannten es „Monkey Shots“: In den Urzeiten des Pop machten sich aufstrebende Stars noch vor der Kamera zum Affen. Es war aber keinem peinlich, weil der Popmusiker als geschäftsfähiges Subjekt noch nicht erfunden war  ■ Von Thomas Groß

Sie wissen nicht, was sie tun, die Fotografen, die in den frühesten Sechzigern jugendliche Entertainer irgendwo hinstellen und auf den Auslöser drücken – in ihren Augen erledigen sie einfach nur einen Job. Daß sie zugleich die Ankunft des Rock in der britischen Nachkriegsgesellschaft festhielten, haben lange Zeit nicht einmal diejenigen bemerkt, die diese Bilder sammelten. Denn auch sie taten es nicht aus Leidenschaft oder historischem Interesse, sondern im Auftrag einer Firma. Erst als EMI, die Mutter aller britischen Plattenfirmen, zum 100. Firmenjubiläum etwas Geschichte benötigte, öffneten sich die Archive für diese verschollene Art von Gebrauchsfotografie.

Es sind Fotos ohne Anspruch auf Autorschaft, die Liz Jobey unter dem Titel „Das Ende der Unschuld“ zusammengestellt und kenntnisreich kommentiert hat – Dokumente aus einer Zeit, in der die Bilderhersteller noch keine Komplizen der Stars waren, sondern gescheitelte Herren in konservativen Anzügen, die pfeiferauchend ihre Anweisungen gaben. Wie lange ist das her? 100, 200 Jahre? Ein unwiederholbares, „naives“ Verhältnis von Entertainment und Understatement ist in diesen Fotos festgehalten: Öffentlichkeitsarbeit, Werbeindustrie, ein Image im modernen Sinne, all das existiert noch nicht – und scheint von den komplett ahnungslosen, erzkonservativen Vertretern der britischen Unterhaltungsindustrie auch gar nicht so recht gewünscht worden zu sein. No sports! Man tut nur, was absolut nötig ist, knipst mit der Hasselblad im quadratischen 6x6-Format (one size fits all Schallplattenhüllen) und läßt bloß die jungen Leute etwas im Viereck springen.

„Monkey Shots“ nannten die beteiligten Gruppen das – und sie machten sich bereitwillig zum Affen. Anders als die Gegenseite, die noch mit einem Bein in der Exklusivität chintzbespannter Salons stand, wollten sie ja rein in die sich zögernd für Nichtclubmitglieder öffnende britische Öffentlichkeit. Die übertriebenen Hornbrillen der Four Sights, die Leopardenkunstfellanzüge von Carl and The Cheetahs oder die über schwerproletarischen Knochenbau drapierten Rollkragenpullover von The Untamed waren sublime Umkodierungen des Erlaubten, die den Umriß des Bankangestellten nicht wirklich verließen, aber mit ziemlich viel Action füllten. Morgen konnte schon alles wieder vorbei sein, also arbeitete man heute im Format des Moments, der entscheidenden Sekunde, die das Gegenüber von der Durchschlagskraft des eigenen Modells überzeugen will.

Viel kosten durfte es die Firma freilich nicht, und das Ergebnis lag immer in den Händen anderer. „Unschuldig“ sind diese Aufnahmen nur im Sinne der Trash-Theorie, die besagt, es sei gerade das ausbeuterische Verhältnis von Produktionsmaschinerie und Gegenstand, das nackte Wahrheit sichtbar macht. Die Schnappschüsse aus der Kinderzeit des Pop erzählen von einer lustigen Prostitution der Frühe. Ohne Scham machen alle alles mit, schlüpfen in die unmöglichsten Rollen – hier bin ich Objekt, hier darf ich's sein! Es gibt noch keine Peinlichkeit, weil der Rockmusiker als geschäftsfähiges Subjekt noch nicht existiert. Nicht der Schatten eines Zweifels an der Allmacht der Firma liegt auf den jugendlichen Gesichtern der Akteure, während zugleich klar wie nie wird, in welchem Ausmaß die phonographische Industrie genau diese Unbekümmertheit aussaugt und in Geld verwandelt.

Es hat etwas Berührendes, diese Darbietungen in Serie zu betrachten. Cilla Black 1964, wie sie in Kunstlederstiefeln auf Küchenhockern posiert. Joe Cocker mit Milchgesicht, hingelümmelt auf eine Art Tapezierleiter. Die Stars, von denen die meisten sehr rasch verblaßten, ertragen ihre Objektwerdung mit einer Würde, von der sie selbst nichts wissen, die aber von den beschränkten Mitteln, den schimmligen Tapeten und hastig ausgesuchten Hintergründen nicht zu trennen ist. Selbst der berühmte „Luftsprung“, bekannt geworden durch die Beatles, ist nicht reine, unkommerzielle Spontaneität. Meist sprang eine Band nach abgeschlossenem Vertrag von der Vortreppe des EMI-Gebäudes, wobei der Fotograf seinen Schuß machte. Es ist das Jubeln von Arbeiterkindern, die das jetzt unter Dach und Fach gebracht haben.

Ein rundes Jahrfünft produzierten die EMI und ihre Gentlemen- Knipser echten Trash, dann erst kam die falsche Echtheit. Zusammen mit einem lockeren, glamourösen Fotografentypus, der mit den Stars ausgeht und abhängt, entstand ein neuer, „wissender“ Typ des Rockmusikers. That's Entertainment. Das Licht der Aufklärung war über die Szene gekommen – damit aber natürlich auch der Anfang vom Ende der längsten Jugend der Welt.

Liz Jobey (Hg.): „Das Ende der Unschuld. Bilder aus der Entstehungszeit des Pop“. Scalo Verlag 1997, 268 S., 48 DM

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