: Moderne Zeiten im Osten
■ In der Neuen Vahr müssen jetzt auch Gewoba-MieterInnen ihre Mülltonnen selbst rausstellen / Müllaufkommen im Bremer Osten halbiert sich mit codierter Tonne
Die Bremer Entsorgungsbetriebe (BEB) haben eine neue Etappe im Müll-Marathon geschafft. Es war die große, vorletzte Strecke bei der Einführung der codierten Mülltonne in der Hansestadt: Seit gestern hat die erste Hälfte aller Haushalte in der Neuen Vahr die codierte Tonne im Haus rumstehen. Vornehmlich im Keller.
Den BEB-Beschäftigten Mutlu Ugur und Stephan Stricker ist das recht. Hauptsache, sie müssen sich von Gewoba-BewohnerInnen nicht mehr anmeckern lassen. „Bei uns haben sich wirklich viele Leute beschwert“, sagen die beiden. Sie haben in den letzten neun Tagen die Tonnen verteilt und kennen die Beschwerden der Menschen im Bremer Osten ziemlich genau.
Da finden es nicht alle der betroffenen 3.400 Haushalte toll, daß mit dem privaten Plastikeimer für sie jetzt moderne Zeiten anbrechen: Die Stadtrand-BürgerInnen müssen den Müllkübel künftig selbst an die Straße rollen – und ab kommendem Januar auch ganz persönlich für seinen Inhalt zahlen. Rein rechnerisch reduziert sich der Müll in der Vahr und in Osterholz damit enorm. Statt 300.000 Litern brauchen – rein rechnerisch – nur noch 120.000 Liter abgefahren werden. „So sehr hat sich das Volumen der Gefäße reduziert“, sagt BEB-Mann Mike Stoesser. Der neuen Berechnung liegt eine Umfrage unter BewohnerInnen zugrunde.
Und noch etwas wird anders: Die Fronten in den allseits beliebten Müllstreitigkeiten dürften sich endgültig verschieben, schätzt der BEB-Logistiker Hans-Jürgen Freund. Er sorgte nämlich dafür, daß die codierte Tonne zuerst in den „heiklen Zonen“verteilt wurde; dort wo die Bremer Entsorgungsbetriebe bisher den heftigsten „Mülltourismus“ausgemacht hatten. In der Geschwister-Scholl-Straße zum Beispiel, wo der Tonnen-Verteil-Marathon gestern zwischen vierstöckigen Wohnblocks zu einem vorläufigen Stop kam.
Ins Visier hatten die Entsorgungsbetriebe dort besonders die privaten WohnungsbesitzerInnen genommen. Oder besser: Deren verschärften Sparwillen. Denn wo Eigentümergemeinschaften sich unabhängig vom Großvermieter Gewoba eigene Gruppen-Müllcontainer beschafft hatten, waren diese allzu oft allzu klein ausgefallen. So klein, daß manche Mülltüte über die Straße gewandert war – direkt in die großen Müllcontainer der Gewoba. Doch damit ist jetzt Schluß, sagt Freund.
Auch Herbert Sannert ist erleichtert. „Gott sei Dank kriege ich jetzt meine eigene Tonne“, sagt der Rentner. Der Gewoba-Mieter ärgert sich schon lange über die hohen Gebühren, die er und seine Frau an die Gewoba zahlen mußten – weil der Vermieter Müllkosten nach Wohnungsgröße und nicht nach Mieterzahl abrechnete. „Diese Ungerechtigkeit ist jetzt vorbei“, bestätigt BEB-Sprecher Friedhelm Behrens. Allerdings: In diesem Jahr lohnt sich das Müllsparen für die Vahrer nicht. Erst ab nächstem Jahr wird die codierte Tonne pro Haushalt abgerechnet. „Es gibt auch kein Geld zurück“, sagt Behrens.
So bleibt die Einführung der codierten Tonnen im Stadtteil Neue Vahr vorerst eine Trockenübung: Wann ist Abfuhrtag? Wie teuer kommt das Ganze? Soll ich doch noch eine Biotonne bestellen? – das sind die Fragen, mit denen die Neu-Codierten sich erstmals beschäftigen müssen. Am kompliziertesten ist allerdings vermutlich eine andere Frage: Wie finde ich meine Tonne aus dem Pulk von fast hundert heraus? Denn soviele Tonnen wandern aus manchen Häuserreihen leicht auf einmal an die Straße.
Das ist ein Szenario, vor dem sich auch BEB-Mitarbeitern schon gruseln. Nicht auszudenken, welche Flut von Beschwerden wegen falscher Abrechnung von vertauschten Tonnen über sie hereinbrechen könnte – und das alles bei einem erheblichen Mehraufwand. „Früher haben wir das ganze Gebiet mit einem Wagen in einem halben Tag abgefahren“, rechnen die BEB'ler vor. Künftig werden dafür drei Müllwagen einen ganzen Tag lang durch dieselben Straßen düsen. ede
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