piwik no script img

Wenn „Verschlafenheit“zur Tugend wird

■ Radio Bremen 4 im nationalen Wellentest ganz weit oben / Hörfunkprofil im Konfektions-Allerlei

Die MacherInnen von Radio Bremen dürfen die Nase ganz weit oben tragen. Bei der Analyse aller bundesdeutschen Hörfunkprogramme durch die Berliner Medien-Unternehmensberatung „Media Sales Management“(MSM) hat die Jugendwelle innerhalb eines Jahres 37 Plätze gut gemacht und einen grandiosen 2. Platz belegt. Schon macht MSM „eine Renaissance der öffentlich-rechtlichen Programme“aus: „Erfolgreiche Radio-Innovationen finden derzeit wieder bei öffentlich-rechtlichen Sendern statt.“Bremen 4-Wellenchef Wolfgang Hagen: „Nicht schlecht, daß sich mal rumgesprochen hat, daß wir hohe Qualität abliefern.“Allerdings relativierte Hagen das Ranking auch gleich wieder. Quotenberechnungen hätten immer eine eingebaute Zeitverzögerung, zudem seien die Entscheidungen der Werbewirtschaft für die Buchung in diesem oder jenem Sender „häufig von großer Irrationalität“.

Die Berliner Gesellschaft beobachtet seit zehn Jahren den TV- und Radio-Markt, so MSM-Geschäftsführer Thomas Timme. Dabei werden alle verfügbaren Daten zusammengetragen – von den HörerInnen- über Reichweitenanalysen bis hin zu Daten des statistischen Bundesamtes, korreliert mit der Kaufkraft im Sendegebiet. Mit handfesten Interessen im Hintergrund. Timme: „Schließlich sollen die Leute, die Anteile an Sendern erwerben wollen, was in der Hand haben.“So gesehen könnte Radio Bremen die eine oder andere Mark mit seinem vierten Programm machen.

„Schon seit längerer Zeit beobachten wir den Trend, daß die Privaten stagnieren und die Öffentlich-rechtlichen an Boden gewinnen“, sagt Timme. Vorreiter seien da neben Bremen 4 Radio EinsLive vom WDR und Radio Fritz vom ORB. „Das ist Radio mit Profil“, sagt der Medienanalytiker. Ganz im Gegensatz zum privaten Einheitsbrei. An dem findet Timme überhaupt keinen Geschmack mehr. „Die hatten in den letzten Jahren zu viel Erfolg und sind zu fett und träge geworden“, meint er. „Reichtum macht faul.“Nahezu alle Privaten hätten schlicht US-amerikanische Programmformate übernommen und wegen des anfänglichen Erfolges auch kaum weiterentwickelt. „Überall in der Republik hören sich die Sender gleich an. Das ist Konfektionsware, und da findet ganz schnell bei den Hörern eine Abstumpfung statt.“

Daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk vor rund zehn Jahren nicht voll auf die Modernisierungswelle der Privaten eingestiegen sei, das käme ihm nun zugute. Timme: „Jetzt wird Verschlafenheit zur Tugend. Die Öffentlich-rechtlichen machen jetzt eben Radio mit Profil. Die gönnen sich Freiheiten, die man bei den Privaten nicht findet. und das zahlt sich jetzt aus.“

Blumen, die sich Wellenchef Hagen nicht so ohne weiteres an den Hut stecken will. Faulheit – „die Analyse geht nicht tief genug“. Das Problem der privaten Sender sei die mangelnde Unternehmenskultur. Und dafür seien die Anteilseigner verantwortlich. Hagen: „Meistens Verlagshäuser, die die Sender überhaupt nicht nach betriebswirtschaftlichen Kriterien führen. Da werden keine Rücklagen gebildet, die für Innovationen eingesetzt werden können. Jede Mark Gewinn wird gleich rausgezogen.“Die Folge: ein Betriebsklima Marke „Durchlauferhitzer“. Länger als zwei, drei Jahre bliebe kaum eine MitarbeiterIn. „Da kann keine Innovation wachsen.“Unterdessen hätten sich die Öffentlich-rechtlichen Zeit gelassen, die Programme zu modernisieren und Persönlichkeiten hinterm Mikro aufzubauen. Hagen: „Dazu haben die Privaten überhaupt keine Zeit, aber das schafft Hörerbindung.“

Die bringt den Radio Bremen 4-MacherInnen nun „eine Trophäe“, kündigt MSM-Geschäftsführer Timme an. Was das sein wird? „Na ja, die Analyse und ein warmer Händedruck.“ Jochen Grabler

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen