: Täglich eine Dosis Nervengift
Fast jede Wohnung ist mit Pestiziden oder Imprägniermitteln verseucht. Die für Menschen gefährlichen Nervengifte sammeln sich im Hausstaub ■ Von Jürgen Voges
Hannover (taz) – Bundesdeutsche Wohnungen sind durch unsachgemäßen Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln erheblich mit neurotoxischen Stoffen belastet. Bei einer Untersuchung von 379 niedersächsischen und nordrhein-westfälischen Wohnungen war der Hausstaub nur in zwei Fällen frei von Giftstoffen aus Pestiziden oder Imprägniermitteln für Teppichböden und Holz.
Die von der Universität Oldenburg und dem Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin erstellte Studie zu „Biozidanwendungen im Haushalt“ stellt für die Mehrzahl der Wohnungen dauerhafte „Biozidrückstände in erheblichen Konzentrationsbereichen“ fest und stuft die aufgefundenen Wirkstoffkombinationen als „im besonderem Maße gesundheitsgefährdend“ ein. Finanziert hat die Studie das Sozialministerium in Hannover.
Für die Autoren hat die Untersuchung auch den Verdacht erhärtet, daß die Häufung von Leukämieerkrankungen im niedersächsisch-nordrhein-westfälischen Grenzgebiet nahe der Giftmülldeponie Münchehagen zum Teil auf unsachgemäße Schädlingsbekämpfung zurückgeht.
Die häufigste und zugleich „gefährlichste Anwendung“ von Bioziden im Haushalt sieht die Studie in der chemische Keule gegen eigentlich nur lästige Insekten wie Mücken, Fliegen oder Ameisen. Insektensprays oder auch Verdampferplättchen, die diesen Lästlingen den Garaus machen sollten, kamen in über der Hälfte der untersuchten Wohnungen zum Einsatz und dies meistens unsachgemäß. Viele Hausfrauen hätten die Insekten in regelmäßigen Abständen oder sogar tagtäglich mit den Bioziden bekämpft, sagt Dr. Olaf Hostrup von der Uni Oldenburg. Im Extremfall seien im Laufe der Jahre mehrere hundert Sprühdosen oder Tausende von Verdampferplättchen zum Einsatz gekommen.
Dies führe jedoch bei den betroffenen Insektenpopulationen zu Resistenzen, so daß für den Insektentod immer höhere Dosen der auch beim Menschen wirkenden Nervengifte notwendig würden. Außerdem hätten sich die AnwenderInnen vor einem direkten Kontakt mit dem Gift oder vor dem Einatmen nur selten geschützt. Sie berichteten deswegen von Vergiftungen, die sich in Erbrechen, Kopfschmerzen und Empfindungsstörungen äußerten.
Der niedersächsische Sozialminister Wolf Weber empfiehlt allen VerbraucherInnen, auf den Einsatz von Insektensprays und Elektroverdampfern völlig zu verzichten. Wenn Wohnungen von gefährlichen Schädlingen befallen seien, gehöre die Bekämpfung in die Hände von geschulten Kammerjägern. Diese dekontaminieren die Räume anschließend wieder.
Weber verlangte außerdem, daß die Anwendung langlebiger Biozide in Wohnungen grundsätzlich verboten wird. Daß Biozide, die sich im Freiland unter Einfluß von Sonnenlicht bald zersetzen, in Wohnungen Jahre oder gar Jahrzehnte überdauern können, zeigen die in den Hausstaubproben gemessenen Giftwerte.
Giftkonzentrationen über den als üblich angenommenen Belastungen diagnostizierte die Studie für 86 Prozent aller untersuchten Haushalte. Dabei wurde gleich ein ganzer Giftcocktail gefunden.
Das seit 1979 für Innenräume verbotenen Holzschutzmittel Pentachlorphenol wurde in 99 Prozent aller Hausstaubproben nachgewiesen. 73 Prozent aller Staubsaugerbeutel enthielten auch das seit zwanzig Jahren verbotene DDT. Metoxychlor fand sich in 83 Prozent und das oftmals als natürliches Chrysanthemengift angepriesene Permethrin in 74 Prozent aller Proben.
Grenzwerte für Biozide im Haushalt gibt es bisher nicht. Der für Permethrin gemessene Spitzenwert überschritt allerdings mit 150 Milligramm pro Kilo Staub den einst von Bundesgesundheitsamt zur Diskussion gestellten Orientierungswert um das 150fache. In den 20 am stärksten mit diesem Gift belasteten Wohnungen wurden im Schnitt 37 Milligramm Permethrin pro Kilo Staub nachgewiesen.
Für das stabile Gift aus der Klasse der Pyrethroide steht fest, daß es zu hirnorganischen, neurologischen und immunologischen Störungen führen kann. Seine karzinogene Wirkung ist bisher strittig. Die Verfasser der Studie gehen davon aus, daß das in Sprays, Verdampferplättchen, aber auch in Teppichböden enthaltene Permethrin zu einem „ähnlichen Problem führt, wie es bereits durch PCB in Holzschutzmitteln entstanden ist“.
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