piwik no script img

Eins zu zweihunderttausend

■ Im Eiszeit-Kino werden ab Ende Mai türkische Filme in Originalfassung gezeigt

Mit der Neueröffnung des Eiszeit-Kinos, rundum saniert und erweitert auf zwei neue Vorführräume mit bequemer Bestuhlung, realisiert sich auch eine alte Idee der Kinomacher: Ab Ende Mai wird es ein türkischsprachiges Kino in Kreuzberg geben. „Wenn nur rund zwei Prozent der türkischen BewohnerInnen ins Kino kommen“, meint Andreas Wildfang von der Eiszeit-Crew, gehe das Konzept auf.

Einmal abgesehen von internationalen Erfolgen wie „Yol – Der Weg“ von Yilmaz Güney oder „Sürü – Die Herde“ kommen Spielfilme aus der Türkei höchstens im Rahmen von Festivals auf hiesige Leinwände. Was in Großstädten wie Amsterdam oder London zum kulturellen Grundangebot gehört, blieb hier bisher auf Einzelvorstellungen beschränkt. Keines der insgesamt 320 Berliner Kinos hat momentan eine Schiene mit türkischen Filmen im Programm. Ein erster Versuch des Westberliner Babylon mit Wochenendvorstellungen scheiterte 1980 nicht zuletzt am Boom türkischer Videos.

Türkische Filme bisher nur über Satellit

Zwar berichten die türkischen Zeitungen zum Teil auch ausführlich über das Geschehen auf dem türkischen Filmmarkt und besprechen anlaufende Filme. Allerdings sind selbst via Satellit höchstens gelegentlich Fernsehproduktionen fürs Berliner türkische Publikum – zumal in Kreuzberg – zugänglich. Vor allem die zweite oder dritte Generation der über 200.000 türkischsprechenden BerlinerInnen bekommt dieses Manko zu spüren. Was fehlt, sind Filme in Originalsprache.

„Wir wollen Filme hierherholen, die in der Türkei vor Ort aktuell produziert werden“, so Ismet Elci, der bereits vor vier Jahren eine türkische Filmreihe in Zusammenarbeit mit dem Eiszeit zeigte. Elci, selbst Regisseur („Kismet, Kismet, Dügün“/„Die Heirat“) und seit achtzehn Jahren Wahlberliner, hat das Kinoprojekt gemeinsam mit dem Dramaturgen Dogan Altuner auf den Weg gebracht. Dieser machte sich auf Recherchereise in die Türkei, um bei Verleihfirmen Verträge auszuhandeln und auch eine deutsche oder englische Untertitelung zu gewährleisten.

Das Echo war überraschend positiv. Die Verleiher zeigten Goodwill, räumten zum Teil sogar Sonderkonditionen für die Berliner ein und sehen den Transfer ihrerseits als willkommene Gelegenheit, jenseits des hermetischen türkischen Marktes ihre Werke zu zeigen. Parallel dazu unterstützen einige Berliner Unternehmen das Projekt, größtenteils mit Werbetrailern, die im Vorprogramm der Spielfilme laufen. Eine Off- oder Underground-Kinoszene, so Altuner, existiere in der Türkei nicht. Ebensowenig eine nennenswerte Finanzierung von Filmprojekten durch öffentliche Institutionen oder Filmschulen.

US-Thriller mit türkischen Untertiteln

Die im Durchschnitt 20, höchstens 30 Filme jährlich entstehen somit auf rein kommerzieller Basis. Das Gros der Schauspieler ist bei den Fernsehanstalten unter Vertrag, die jede Menge personalintensiver Serien und Soap-operas produzieren. Eine prozentuale Beschränkung ausländischer Importe zugunsten der nationalen Filmproduktion, wie etwa in Frankreich, gibt es nicht. Der Markt wird zu neunzig Prozent dominiert von synchronisierten Hollywood- Blockbustern.

Dem wird auch das Programm im Eiszeit Rechnung tragen. Möglichst breit angelegt, reicht die Auswahl von künstlerischen Arbeiten wie „Tabutta Rovasta“ von Dervis Zaim, Kassenerfolgen wie „Istambul kanaltarimin attenda – Istambul unter meinem Flügel“ von Mustafa Altunok – einer ins Osmanische Reich verlegten Ikarus-Geschichte – bis zu amerikanischen Thrillern mit türkischen Untertiteln. Geplant ist außerdem die Vorführung populärer TV-Serien über Videobeam.

„Böcek“ von Umit Elci gehört zum Eröffnungsblock Ende Mai. Ein melancholischer Streifen um einen Polizeikommissar, der zusehends in eine Außenseiterrolle abdriftet, Selbstgespräche führt und schließlich Opfer seiner eigenen Ordnungswut wird. Die Metropole Istanbul hat in „Böcek“ etwas Venedighaftes, Morbides. Recai (Halil Ergün) ist ein verunsicherter Mann. Auf dem Weg zur Arbeit ins Polizeihauptquartier muß der Ordnungshüter an einer Menge Müll und Unrat vorbei. Nicht umsonst entwickelt er einen akuten Waschzwang, nebst einer privaten Theorie über Ungeziefer.

Das arme Schwein voll Selbstmitleid

Sein Zustand wird immer prekärer. Morgens tappt er zwischen Zahnbürste und Naßrasur durch die Wohnung, immer auf der Hut vor dem nächsten Kakerlaken. Denn seit er während der Arbeit auch noch die junge Streunerin Binnur (Nurseli Idiz) aufgelesen hat, die sich bei ihm einnistet, wird seine wohlgeordnete Existenz vollends zur Farce. Eine Ehe wird eingefädelt, und fortan hat er eine Frau am Hals, die die Tage zwischen Rotwein und Zigaretten verdöst und ihn mit immer neuen Meckereien empfängt.

So wird aus dem verständnisheischenden Porträt eines angeekelten Einzelgängers doch noch das arme Schwein, das an Selbstmitleid eingeht. Und das trotz manch frecher Szene, etwa als eine forsche Bürokollegin den schüchternen Recai zu den Klängen von Madonnas „Erotica“ zu verführen versucht. Gudrun Holz

Das türkischsprachige Kino öffnet am 29. Mai im Eiszeit-Kino, Zeughofstraße 20, Kreuzberg. Weitere türkische Filme werden in den kommenden Monaten im Freilichtkino Hasenheide stattfinden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen