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Die Umfaller auf der Flucht nach vorn

Die FDP setzt auf ihrem Parteitag auf einen einzigen Programmpunkt: Steuersenkungen. Das prägt sich ein, aber es bringt keine Wähler. Und so macht sich in der Partei Angst breit  ■ Aus Wiesbaden Dieter Rulff

Guido Westerwelle wächst am Widerstand. „Uns bläst der Wind ins Gesicht. Der Kampf, den wir gemeinsam kämpfen werden, ist nichts für schwächliche Charaktere und ängstliche Naturen“, trimmt der junge Generalsekretär die 663 Delegierten des Wiesbadener Parteitages auf den neuen Kurs der FDP. Mit den gleichen aufbauenden Worten hatte Karl-Hermann Flach 1971 seiner Partei Mut zur sozialliberalen Freiburger Wende gemacht. Flach hatte Erfolg. Die Anlehnung an den legendären Vorgänger ist bewußt gewählt.

Die Freiburger Thesen Guido Westerwelles lauten „Wiesbadener Grundsätze für eine liberale Bürgergesellschaft“ und beinhalten das genaue Gegenteil der 71er Beschlüsse. Mit ihnen wurde auf dem letztjährigen Parteitag in Karlsruhe die neoliberale Wende der FDP eingeläutet. Die Partei wurde programmatisch auf die Senkung der Unternehmenskosten und Reduzierung der Staatsausgaben eingeschworen. Mit diesem Ein-Punkt-Programm errang die FDP nach Monaten der Niederlagen drei Wahlsiege.

Doch nun, ein Jahr später, hockt die FDP in einer Glaubwürdigkeitsfalle. Die Haushaltslage zwingt die Koalition zu drastischen Maßnahmen. Seit Tagen macht das Wort von der Steuererhöhung in Bonn die Runde und den Liberalen auf ihrem Wiesbadener Parteitag angst. Denn mindestens genauso wichtig wie ihre Grundsätze ist ihnen die Regierungsbeteiligung. Eine FDP, die nicht regiert, das ist selbst für ältere unter den Delegierten kaum mehr erinnerbar und für alle noch weniger denkbar. Und so beschleicht manchen die dunkle Ahnung an früher. 1966 war die CDU/FDP-Koalition im Streit um Steuererhöhungen auseinandergebrochen. Bild titelte seinerzeit: „Die FDP fiel wieder um.“

Das ist der Stoff, aus dem die „Grundstimmung“ ist, die der Berliner Landesvorsitzende Martin Matz in der Wiesbadener Rhein- Main-Halle verspürt. Matz redet vor den Delegierten von der „Angst, daß der Weg nicht der richtige sein könnte oder wir ihn nicht konsequent genug gehen“. Diese Angst war zum ersten Mal aufgekommen, als die FDP im Herbst letzten Jahres der Senkung des Solidarzuschlags zustimmen mußte, um eine Mineralölsteuererhöhung abzuwenden. „Die Betrüger“, titelte Bild damals. Nun droht die nächste Schlagzeile, und die FDP hat in Wiesbaden die Flucht nach vorne angetreten.

Steuersenkungen, diese Position müsse klar sein in dieser Partei, hämmert der Vorsitzende Wolfgang Gerhardt. Während er noch moderat formuliert, reitet sein Generalsekretär Attacken auf den Koalitionspartner. Es könne nicht sein, „daß wir für die unbequeme Botschaft des Sparens zuständig sind und andere für die Verteilung von Wohltätigkeiten“. Das hermetische, als „neuer Gesellschaftsvertrag“ überhöhte, aber eigentlich anspruchslose Konzept der Reduzierung der Staatsaufgaben ist auf seine Weise attraktiv. Das Profil prägt sich ein, garantiert der Partei Identifizierbarkeit, allerdings keine entsprechende Wählerresonanz.

Das neoliberale Image durch sozialliberale Positionen zu ergänzen und so das Wählerpotential auszuweiten – diese Überlegung klingt zwar in Wiesbaden an, wird aber zugunsten der Eindeutigkeit verworfen. Auf einen Punkt setzen, die Mitte radikalisieren – das ist die Botschaft. Liberales Spektrum, verschiedene Parteiflügel – das ist passé. Westerwelle setzt Prioritäten. Die FDP sei zu lange Funktionspartei gewesen, „das ist nun zu wenig“. Die neue FDP sei eine Reformpartei.

Doch zunächst einmal beschließt der Parteitag, was eigentlich klar ist: „Steuererhöhungen zur Schließung von Haushaltslücken lehnt die FDP ab.“ Gerhardt war ursprünglich gegen einen solchen Beschluß, würde er doch das Koalitionsklima verschärfen. Doch der Druck der Basis war zu groß, die Spitze mußte sich beugen. Sie wird zudem von mehreren Delegierten mit einem weitergehenden Beschluß zur Absenkung des Solidaritätszuschlags um zwei Prozent zum 1. 1. 1998 malträtiert. Lediglich das Begehren, überhaupt keine Steuererhöhung zuzulassen, wird abgelehnt.

Während die Delegierten im Saal die glasklaren Beschlüsse fällen, wird in der Lobby nach Auswegen gesucht. Für 1997 geht der Fraktionsvorsitzende Solms von einer höheren Neuverschuldung aus. Für den Haushalt 1998 setzen die Liberalen auf eine Privatisierung der staatlichen Beteiligungen. Die Veräußerung von Telekom- Aktien könnte 15 bis 20 Milliarden Mark bringen, die Postbank steht zur Disposition ebenso wie die Lufthansa-Anteile und die Beteiligung bei Flughäfen. Und selbst die feierlich bekräftigte Senkung des Solidarzuschlages ist nicht sakrosankt. Sie ist bislang in einem Steuerreformpaket verborgen, dem der Bundesrat zustimmen muß. Sind die SPD-Länder im Herbst dagegen – was will man da machen? Würde der Solidarzuschlag als Einzelmaßnahme durchgesetzt, um den SPD-Widerstand zu umgehen, könnte es doch sein, daß CDU-regierte Länder gleichfalls ablehnen und damit eine unerreichbare Zweidrittelmehrheit im Bundestag erforderlich machen. Zwar erwartet Solms, daß eingehalten wird, „was zwischen Freunden vereinbart“ ist, doch die Senkung des Solidarzuschlags hat er nun mal mit dem Koalitionspartner CDU in Bonn und nicht mit den christdemokratischen Ministerpräsidenten verabredet. Finanzieller Spielraum wird zudem in der Gegenfinanzierung der Rentenreform gesehen. Bei einer dafür erforderlichen Steuererhöhung könnte durchaus etwas zur Haushaltsdeckung abfallen.

Es besteht also Spielraum, die Funktionspartei FPD mit der Reformpartei FDP in Einklang zu bringen. Offen ist allerdings, ob er groß genug ist – und ob die Union ihn auch nutzen will.

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