: Statt Kuchen Pizza Palladiana
■ Das Museum für Hamburgische Geschichte feiert seinen 75. mit einer Palladio-Ausstellung
Kaum ein Architekt hat eine so weitreichende Wirkung gehabt wie Andrea Palladio. 1508 in Padua geboren wurde er in Vicenza vom angelernten Steinmetz zum wichtigsten Architekturtheoretiker seiner Zeit. Er baute mehr als vierzig Landvillen für die Oberschicht der Adelsrepublik Venedigs, später auch Kirchen in Venedig.
Wenn das Museum für Hamburgische Geschichte zu seinem gestrigen 75jährigen Bestehen eine große Ausstellung zum Thema Palladio eröffnet, geht es trotz der Anwesenheit des italienischen Botschafters und des Bürgermeisters von Vicenza nicht primär um die historischen Bauten im Veneto. Die Ausstellung Die Erben Palladios in Nordeuropa verfolgt in 400 Exponaten von dem antiken Kapitell eines römischen Tempels zum Modell des Ungersbaus für die Hamburger Kunsthalle die eindruckvolle Wirkungsgeschichte des Architekten. Durch Bücher wie Quattro Libri Dell Architettura von Palladio verbreitete sich die formale und strukturelle Neudefinition von Architektur in den aufgeklärten evangelischen Monarchien des Nordens sogar weiter als im gegenreformatorischen Süden. In Amsterdam und Hamburg, in England und Skandinavien findet sich die Spur jener im vicentinischen Meister zur idealen Form gebrachten Antikenrezeption, die den Palladianismus zur allgemeinen Architektursprache des 17. bis 19. Jahrhunderts in Europa und den englischen Kolonien machte.
Für Hamburg ist der Beginn dieses Stils genau festzumachen: Ab 1566 wird die Westfassade der Katharinenkirche mit Säulen und Bögen aus Wesersandstein in einen Campanile neuen Stils verwandelt, wie es eines der zahlreichen Architekturmodelle zeigt, die die Ausstellung interessant machen. Das größte davon ist das einzigartige, ab 1680 in 12jähriger Arbeit in Hamburg hergestellte Idealmodell des Salomonischen Tempels, das als Besitz des Museums den Saal unmittelbar neben dem Eingang zur Sonderausstellung füllt.
So faszinierend die Entdeckungsreise durch die Architekturgeschichte in den besonders mit Palladio-Motiven gestalteten Räumen auch ist, so willkürlich erscheinen die Exponate. Man entdeckt Zusammenhänge, die die klugen Essays des Begleitbuches vielleicht doch besser darstellen, vermißt dagegen anderes, wie ein Modell der Villa Rotonda, und wundert sich über den Raum mit heutiger Architektur von James Stirling, Gerkan, Marg und Partner und Ungers.
Die Schriften des römischen Architekten Vitruv waren Grundlage für Palladio. Seine eigenen wurden zur verbindlichen Fachsprache, in der Architekten formulierten. Die Struktur seines Bauens konnte auch in der Moderne geschätzt werden, selbst wenn das antike Ornament abgelehnt wurde. Die Postmoderne ironisierte diese Sprache im Zitat. Sie für die Bauaufgaben der Zukunft als verbindliches Bildungsgut wieder zu entdecken, könnte ein heimliches Anliegen dieser Ausstellung sein.
Hajo Schiff
bis 31. August, Museum für Hamburgische Geschichte, Begleitbuch, 48 Mark
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen