: Aus dem Sumpf oder „Ingo B.“ und die Polizisten Von Wiglaf Droste
Christian Specht ist ein stadtbekannter Berliner Aktivist. Wo immer etwas los ist in der Stadt, ist der nur äußerlich täppisch wirkende junge Mann zur Stelle, interviewt alle Beteiligten mit seinem Holzmikrophon und verteilt Versöhnungsaufrufe. Niemand hat den Charakter elektronischer Medien so präzise auf den Punkt gebracht wie Christian Specht, als er in den 80er Jahren eine große Holzkamera schulterte, mit ihr von Ereignis zu Ereignis zog und dabei stets selbst das Ereignis war – bei all ihren Bemühungen haben seine Kollegen von Sat.1, RTL usw. das nie so gut hingekriegt wie er.
Am späten Nachmittag des 3. Juni 1997 stapft Christian Specht durch die Redaktionsräume der Tageszeitung junge Welt und fordert die Belegschaft auf, sich mit den dissidenten Kolleginnen und Kollegen, die unter dem Rubrum jungle World Vereinsnachrichten herausbringen, wieder zu vertragen. Aber dieser Käse ist längst gegessen; wer die Ausgaben der jungle World gelesen hat, ist eins a darüber informiert, daß in der jungen Welt nunmehr Faschisten und Stalinisten arbeiten. Was heutzutage alles als Faschismus oder Stalinismus durchgeht! Orthographie und Grammatik: faschistoid! Jemandem, der Quatsch erzählt, widersprechen: stalinistisch! Nein, dafür sind Hitler und Stalin nicht gestorben, daß jeder linke Familienzwist in ihrem Namen stattfinden muß. Zumal der Streit reine Simulation ist: Der FAZ vom 2. Juni 1997 kann man entnehmen, daß beim Benno-Ohnesorg-Kongreß am Wochenende zuvor der jungle World-Redakteur „Ingo B.“ dem junge Welt-Geschäftsführer Koschmieder eine Torte an den Kopf warf. Da wollte „Ingo B.“ als neue Beate Klarsfeld erscheinen, und die Rolle des Kiesinger hatte er dem Koschmieder zugedacht. Der Unterschied ist nur der, daß Beate Klarsfeld einen veritablen Bundeskanzler und ehemaligen Nationalsozialisten ohrfeigte, während „Ingo B.“ bloß so tat als ob: Seine Attacke galt einem aus dem eigenen Stall, und einzige propagandistische Wirkung ist die Erzeugung eines Stoßgebets: Können die das nicht bitte privat abmachen?
Lustig ist außerdem, daß „Ingo B.“ gar nicht „Ingo B.“ heißt, sondern Ivo B. So bösartig kann die FAZ sein: Da will einer bekannt werden mit einer Zirkusnummer, und dann ist es nur das: „Ingo B.“ Der muß er bleiben auf ewig.
So auch am 3. Juni 1997: Die IG Medien-Jugend Berlin-Brandenburg hat zu einer „Soli-Kundgebung“ zugunsten der jungle World aufgerufen. Gut 30 Leute stehen vor der Ausfahrt der Druckerei, in der die junge Welt hergestellt wird, um die Auslieferung des Blattes zu verhindern. „Enteignet Chaosschmieder!“ heißt ihre Parole. Genau: Koschmieder ist Springer, und sie sind die Kämpfer von einst. Das hätten sie gerne. „Ingo B.“ ist auch da, mit einer Videokamera – nicht aus Holz, so klug ist „Ingo B.“ nicht. Als ich vorbeischlendere, kommen zwei seiner jungle World- Kollegen in Schweiß: Der eine zeigt mit dem Finger, der andere zückt den Fotoapparat und fängt an zu knipsen. Man kennt das gut von vielen Demos: Es ist die Arbeit von Zivilbullen.
Soviel haben sie simuliert, „Ingo B.“ und seine Kollegen: Linksradikalismus, Antifa, ditt und datt. Aber einmal, als Polizisten, da waren sie ganz bei sich, da waren sie echt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen