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Koalition unter Strom

■ Entscheidung für Präsidialsystem sorgt in Italiens Regierung für Aufregung

Rom (taz) – Katzenjammer bei den Regierungsparteien, höchste Befriedigung bei der Rechten, Euphorie über den „Coup“ bei der norditalienischen Liga: Nach der überraschenden Entscheidung der Kommission zur Verfassungsreform für ein Präsidialsystem herrscht höchste Spannung in der regierenden Mitte-Links-Koalition. Einige Regierungsmitglieder sehen den Sturz Prodis und Neuwahlen heraufziehen.

Große Freude herrscht bei der Rechten: Das nun dem Parlament vorgeschlagene System nach französischem Vorbild ist die autoritärste Version der vorgeschlagenen Modelle. Euphorisch äußert sich auch die separatistische Liga Nord. Ihre sechs Vertreter, die nach monatelanger Abstinenz in die Kommission zurückgekehrt waren, hatten den Ausschlag für die Entscheidung gegeben. Doch der Triumph der Liga gilt nicht dem Präsidialsystem selbst. Dieses lehnen die Abgeordneten des Nord-Vereins ab, weil sie sich die Auflösung des zentralisierten Staates wünschen. Vielmehr freuen sie sich über die in der Koalition herrschende Verwirrung. „Endlich ist das Ende der Mauscheleien zwischen der Regierung und der Rechten in Sicht“, frohlockt Liga- Chef Umberto Bossi.

Tatsächlich hatte es bis kurz vor der Abstimmung so ausgesehen, als gäbe es heimliche Absprachen zwischen der größten Regierungspartei, den Linksdemokraten, und der führenden Rechts-Fraktion, der Forza Italia des Medientycoons und früheren Premiers Silvio Berlusconi. Danach hatte Berlusconi das Präsidialsystem zwar aus Gründen des Zusammenhalts mit der äußersten Rechten vorgeschlagen, den Linksdemokraten aber Konsens auch für das Premiersystem nach englischem Muster signalisiert.

Mit der Entscheidung für das Präsidialsystem gerät nun der Chef der Linksdemokraten, Massimo D'Alema, gleichzeitig Vorsitzender der Verfassungskommission, heftig in die Kritik. Er hatte auch einigen der Kommissare aus den eigenen Reihen gestattet, sich gegen das Premiersystem auszusprechen. Zu diesem Zeitpunkt galt die Mehrheit für dieses System noch als gesichert. Böse Stimmen unterstellen gar, D'Alema habe den Coup eingefädelt, da er das Präsidialsystem vorziehe und das Premiersystem nur aus Rücksicht auf seine Partei mitgetragen habe.

Die kleineren Koalitionsparteien, Volkspartei, Grüne, die Antimafiagruppe „Das Netz“ sowie Neokommunisten wollen sich die Entscheidung nicht gefallen lassen. Sie versuchen mit Zusatzanträgen den Kommissionsvorschlag im Parlament zu entschärfen oder zu kippen. Sollte alles nicht klappen, stünde eine Regierungskrise am Ende der Verfassungsreform-Anstrengungen, und Neuwahlen würden dann alles zur Makulatur machen. Werner Raith

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