: Pech für den Verlobten
■ Will nicht nur "für die Väter leben": Zur Premiere von "Die Entdeckung...", der ersten Regiearbeit des unzufriedenen DT-Schauspielers Daniel Morgenroth
Nichts wird sein, wie es war. Auf ihrem Siegeszug durch Deutschland hat die Comedy jetzt eine Hochburg der klassischen Bildung gestürmt: die Staatsoper Unter den Linden. Neue Musik wird im Apollo-Saal öfter gespielt, aber so was? Was ist das überhaupt?
„Die Entdeckung des Vaters bei gemäßigt leichter Gartenarbeit“ heißt das Stück von Christoph Schambach (Musik) und Frank Bruder (Libretto), und ob es nun eher ein Singspiel, eine Groteske oder eine musikalische Farce ist, wissen sie selbst nicht. Auf jeden Fall macht es Spaß. Wir sehen eine schrecklich nette Familie im trauten Heim. Zunächst die angehende Schwiegertochter (Cathlen Gawlich), eine Ikone des Schulmädchensex. Fröhlich wippen die grellblonde Perücke und das gelbe Miniröckchen, und aus dem roten Mündchen quillt ein unaufhaltsam dümmlicher Redestrom. Pech für den Verlobten (Udo Kroschwald), einen ernsten, früh verglatzten Herrn im Gelehrtenrock, der sich jammernd, in vergeblichem Wissensstreben über einen Folioband beugt: „Kannst du nicht einmal still sein!“
Unter den Rosen lauert das Grauen
Die gemäßigt leichte Gartenarbeit ist Sache des jüngeren Bruders. „Ei, ei, ei!“ jubelt Bernd Stempel auf, wenn er beim Buddeln etwas Interessantes entdeckt hat. Mit irrem Grinsen und eckigen Bewegungen präsentiert er die Funde – einen Oberarmknochen, einen Unterschenkel, schließlich den Schädel. Unter den Rosenstöcken lauert das Grauen. Doch die Familie nimmt es gelassen, selbst die verdächtige Mama (Christine Schorn), die trotz ihrer Schläfrigkeit unumschränkt über die Jüngeren herrscht. Wer da verbuddelt worden ist? Man weiß es natürlich von Anfang an.
Die schräge Handlung prägt das Spiel. Die Darsteller heben ihre Rollen sozusagen einen Halbton höher, Reden und Gesten sind immer eine Idee zu grell. Den Kontrast dazu setzt Schambachs extrem traditionelle Komposition. Die Ouvertüre klingt verblüffend nach Mozart: Hauptthema in sportlichem Stakkato, lyrisches Seitenthema, die Bläser spielen brav den Streichern nach. Die eingestreuten Lieder changieren im Stil zwischen Songoper, Operette und viktorianischer Salonmusik. Allzu perfekt wird es nie, weil eben Schauspieler singen. Leider vermögen sie das Kammerorchester nicht zu übertönen, so daß die meisten Liedtexte dunkel bleiben.
Die Inszenierung ist die erste Regiearbeit des Schauspielers Daniel Morgenroth. „Das hat sich so ergeben“, sagt er. „Ich habe mich sehr lange mit dem Stück beschäftigt – und es verschärft verteidigt!“ Denn die Dramaturgie am Deutschen Theater lehnte zunächst ab: zu konfus, keine richtige Handlung. Schließlich kam die Inszenierung doch noch zustande, als Koproduktion mit der Staatsoper, denn angesichts der Finanzmisere hätte das Deutsche Theater es sich nicht leisten können, extra Musiker zu engagieren. „Ein toller Synergie-Effekt, Radunski wird sich freuen“, lacht Morgenroth.
Der 33jährige Schauspieler hat seinen triumphalen Erfolg als „Peer Gynt“ vor fünf Jahren nicht wiederholen können. Eine so wichtige Hauptrolle hat er seitdem am Deutschen Theater auch nicht mehr bekommen. Trotzdem ist er zufrieden: „Ich spiele lieber mal eine interessante Nebenrolle, als auf ein bestimmtes Fach festgelegt zu werden.“ Zuletzt trat Daniel Morgenroth als derber, dumpfer Pflüger in „Messer in Hennen“ in der DT-Baracke auf. Daß ein junger Regisseur, der 28jährige Thomas Ostermeier, das Stück inszenierte, war ihm sehr wichtig.
Das Theater braucht mehr junge Leute
„Ich möchte viel stärker mit der eigenen Generation zusammenarbeiten. Wenn man wie ich direkt von der Schauspielschule an ein großes Haus kommt, ist die Gefahr sehr groß, daß man nur funktioniert, nur für die Väter lebt.“ Deshalb bekämpft er die Vorherrschaft der alten Garde am Deutschen Theater: „Da muß sich was bewegen, die Krise ist offenbar. Das Theater braucht mehr junge Leute.“ Christoph Schambach und Frank Bruder sind etwa im gleichen Alter wie Morgenroth, die drei kennen sich seit mehr als zehn Jahren. Und ihr Gemeinschaftswerk vereinigt alle Eigenschaften, die alte Kritiker den Arbeiten jüngerer Regisseure von Haußmann bis Bachmann gern vorwerfen: Es ist oberflächlich. Es ist harmlos. Und es hat keine Botschaft. „Bedeutungsschwangere Texte wie von Handke oder Strauß, solche Briefe aus dem Dichterolymp finde ich schrecklich“, sagt Morgenroth.
Als bloße Parodie auf sich selbst, auf Familiengeschichten oder gar auf die ausgestorbene Gattung Singspiel ist das Stück allerdings doch reichlich dünn. Aber wer Lust dazu habe, meint Morgenroth, könne jede Menge verborgene Bedeutungen darin entdecken. Der Ödipuskomplex grüßt von fern, auch das Märchen vom Machandelbaum und ungezählte Wohnküchendramen. Reicht das? Für Comedy reicht es dicke. Wer mehr will, kann ja eine Tür weiter gehen. Miriam Hoffmeyer
Heute abend 21 Uhr Premiere im Apollo-Saal der Staatsoper, Unter den Linden 5–7, Mitte. Weitere Aufführungen 15., 21./22./23.6. jeweils 21 Uhr
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