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Mit ihrem „Marsch gegen ein Europa des Kapitals“ haben Zehntausende in Amsterdam klargemacht, was sie von den EU-Machern halten. Die 15 Regierungen, die heute und morgen den neuen EU-Vertrag aushandeln, müssen befürchten, daß ihnen ihre Parlamente das Ergebnis als ungenügend um die Ohren hauen werden. Von Alois Berger

Wer nicht will, darf andere nicht stoppen

Der niederländische Außenminister wirkte fast zerknirscht, als er vor dem Europäischen Parlament die bisherigen Verhandlungsergebnisse vortrug. Er sei sich darüber im klaren, baute Hans van Mierlo vor, daß der Maastricht-II- Vertrag nicht alle Demokraten zufriedenstellen werde. Aber es gebe beachtliche Fortschritte, warb er, das Europaparlament werde künftig weit mehr Mitbestimmungsrechte bekommen als bisher.

Die zur Schau getragene Demut hat einen guten Grund. Bei den 15 Regierungen, die heute und morgen in Amsterdam den neuen EU- Vertrag aushandeln wollen, steigt die Nervosität. Sie fürchten, daß ihnen das Ergebnis von einigen nationalen Parlamenten als ungenügend um die Ohren gehauen wird. „Der Gedanke erwischt mich laufend“, stöhnt der deutsche Verhandlungsführer, Staatsminister Werner Hoyer. Denn wie vor fünf Jahren der Maastrichter Vertrag, so muß auch das Nachfolgewerk, der Amsterdamer Vertrag, von allen nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Im Bundestag etwa ist dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich. Und in einigen Ländern wird sogar über Volksabstimmungen nachgedacht. Umso mehr muß den Regierungschefs die Kritik aus Straßburg in den Ohren klingen. Das Europaparlament ist zwar in Amsterdam nur mit Beobachtern vertreten und kann den Vertrag anschließend auch nicht zurückweisen. Doch die nationalen Parlamente werden genau hinhören, was die Straßburger Abgeordneten auszusetzen haben. Zum Beispiel die mangelhafte parlamentarische Kontrolle bei der geplanten Verstärkung der gemeinsamen Polizei- und Justizzusammenarbeit.

Die Parlamente können nichts mehr aufhalten

In der Visum- und Asylpolitik sollen die Regierungen im Ministerrat künftig mit Mehrheit beschließen können. Dadurch können einzelne nationale Parlamente nichs mehr aufhalten. Gleichzeitig wollen die Innenminister verhindern, daß das Europaparlament in diesem Bereich mitbestimmen kann. Auch die Eingliederung des Schengener Abkommens in den EU-Vertrag bereitet vielen Abgeordneten Bauchschmerzen. Das Schengener Abkommen aus dem Jahr 1985, das inzwischen bis auf London und Dublin alle EU-Länder unterschrieben haben, sieht den Abbau der Grenzen für den Personenverkehr vor. Als Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen vereinbarten die Regierungen ein europaweites Fahndungssystem mit einem Zentralcomputer in Straßburg.

Doch während an vielen Grenzen immer noch kontrolliert wird und noch mindestens fünf weitere Jahre kontrolliert werden soll, arbeiten die Innenminister eifrig an immer schärferen Fahndungsmaßnahmen. Durch die Eingliederung in den EU-Vertrag wird Schengen zum Kernstück der Polizeizusammenarbeit, ohne daß das Europaparlament Mitbestimmungsrechte bekommt. Selbst die Rechte des Europäischen Gerichtshofes werden vertraglich beschnitten: „Der Gerichtshof besitzt auf keinen Fall die Zuständigkeit für Maßnahmen oder Beschlüsse, die die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder die Gewährleistung der inneren Sicherheit betreffen.“

Bundeskanzler Kohl möchte zudem auch Europol endlich zu einem europäischen FBI ausbauen. Doch dagegen wehren sich noch einige Länder, nicht zuletzt, weil auch hier weder das Europaparlament noch der Europäische Gerichtshof ausreichende Kontrollrechte haben. Doch Kohl will kämpfen: Die Stärkung von Europol müsse „die zentrale Botschaft von Amsterdam sein“, kündigte Staatsminister Hoyer an.

Damit ist ziemlich genau beschrieben, wie weit sich die Regierungskonferenz von ihrem ursprünglichen Ziel entfernt hat. Vor vier Jahren beschlossen, um einen politischen Rahmen für die Währungsunion zu schaffen, startete sie im März 1996 bereits als Vorbereitungskonferenz für die Osterweiterung und soll nun zum Werbeplakat für die EU umgestaltet werden. „Die EU muß sich auf das konzentrieren, was den Bürgern wichtig ist“, bleute der britische Premier Blair den Kollegen beim Vorgipfel in Noordwijk ein.

Die konservativen Regierungschefs um Kohl verstehen darunter die publikumswirksame Bekämpfung der internationalen Kriminalität, die sozialdemokratischen Premiers die Betonung einer europäischen Beschäftigungspolitik. Beides sind Randthemen. Zwar ist die Arbeitslosigkeit das größte Problem in der EU, doch das geplante Beschäftigungskapitel im EU-Vertrag wird daran wenig ändern. Denn mehr als eine schöne Absichtserklärung ist offensichtlich nicht möglich, wenn sich 15 Regierungen mit sehr unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen einigen müssen.

Darin liegt das Grundproblem der EU, das die Regierungskonferenz eigentlich beseitigen sollte: Solange in allen entscheidenden Fragen Einstimmigkeit nötig ist, kommen bestenfalls dürftige Formelkompromisse zustande. Die Regel ist, daß eine Regierung alles blockiert. Wenn in den nächsten Jahren Polen, Ungarn, Tschechien und auch weitere Länder in die EU aufgenommen werden, wird gar nichts mehr gehen. Im Prinzip sind deshalb fast alle Regierungen für die generelle Einführung von Mehrheitsabstimmungen.

Verschiebung könnte die Osterweiterung blockieren

Im Detail haben alle Schwierigkeiten: Bonn möchte sich in Wirtschafts- und Finanzfragen keinesfalls überstimmen lassen, Frankreich und Dänemark nicht bei der Innenpolitik, und bei der Außenpolitik können sich ohnehin nur die kleineren Länder vorstellen, auf ihre Vetomöglichkeiten zu verzichten. Ganze 16 neue Vertragsartikel hat die niederländische Ratspräsidentschaft ausgemacht, bei denen künftig Mehrheitsentscheidungen möglich sein könnten, darunter auch die Umweltpolitik, die Forschungsförderung, Kultur und die Industriepolitik.

Bei der Außenpolitik und der inneren Sicherheit haben die Verhandlungsführer verschiedene Modelle entwickelt, die darauf hinauslaufen, daß einige Länder etwa bei der Polizeizusammenarbeit vorausgehen können. Wer nicht mitmachen will, muß nicht, kann die anderen aber auch nicht aufhalten. Frankreich und Deutschland würden auf diese Weise gerne auch die WEU, ein seit 40 Jahren schlummerndes Verteidigungsbündnis der europäischen Nato- Staaten, zum militärischen Arm der EU ausbauen – nur für Friedensmissionen natürlich. Großbritannien und Dänemark sind dagegen, vor allem aber Schweden, Finnland und Österreich, die nicht in der Nato sind.

Erste Zweifel werden laut, ob sich die Regierungschefs in Amsterdam bei den vielen noch umstrittenen Punkten überhaupt einigen können. Doch eine Verschiebung würde neue Probleme schaffen, vor allem die Osterweiterung könnte sich verzögern. Das sieht auch eine Mehrheit im Europaparlament so. Immerhin darf es künftig bei 75 Prozent der Entscheidungen, bei denen der Ministerrat mit Mehrheit beschließt, mitentscheiden (bisher nur bei 25 Prozent). „Der neue Vertrag hat Schwächen“, meint der SPD-Europaabgeordnete Axel Schäfer, „aber er ist besser als der bisherige.“

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