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■ Mit dem Attentäter von Oklahoma, Timothy McVeigh, warten 3.000 Todeskandidaten auf ihre HinrichtungClinton als biblischer Racheengel

Die Geschworenen haben gehalten, was der Präsident versprochen hatte: Wer auch immer hinter dem Bombenanschlag von Oklahoma City steckte, würde gefaßt und zum Tode verurteilt werden. Da half es auch nichts, daß die Verteidiger von Timothy McVeigh ihren Mandanten als den „Jungen von nebenan“ präsentierten, der jedermanns Sohn, Bruder oder Enkel hätte sein können. Ein – wohlgemerkt weißer – „All-American boy“, patriotisch und waffenvernarrt, ein nach herrschenden Maßstäben ausgezeichneter Soldat, der mit einem Orden aus dem Golfkrieg heimkehrte. Eigenschaften, die in den USA durchaus positiv und als Teil des Mainstreams gesehen werden. So mancher dürfte sich McVeigh, dem die Presse in den letzten zwei Jahren erstaunlich viel Raum zur Selbstdarstellung gegeben hatte, näher gefühlt haben, als ihm lieb war. Um so härter die Reaktion auf seine Tat. Was der Täter als Angriff auf einen allseits verhaßten Staat interpretiert wissen wollte, verstanden die Geschworenen wie auch die amerikanische Öffentlichkeit als Mord innerhalb der „American family“.

In den USA werden sich nun nur noch die Milizenbewegung und die kleine Minderheit der Todesstrafengegner Timothy McVeighs annehmen. Die einen, weil sie ihn als Märtyrer sehen; die anderen, weil er nunmehr einer von über 3.000 Todeskandidaten in den USA ist. Mit größeren internationalen Appellen gegen seine Hinrichtung – wenn sie denn vollstreckt wird – dürfte wohl nicht zu rechnen sein. Als Massenmörder mit einer Affinität zu Waffenarsenalen und antietatisischen Wahnideen eignet man sich nicht zum Katalysator von Empörung gegen eine Justiz, die den Henker im Geschäft läßt. Gerade deshalb sei an dieser Stelle noch einmal gesagt: Die Todesstrafe gehört ohne Wenn und Aber abgeschafft. Egal, wie abscheulich oder unfaßbar das Verbrechen gewesen ist. Egal, wie wenig Verständnis die betreffende Gesellschaft für diese Forderung aufbringt. Egal auch, wie nachvollziehbar ihr Verlangen nach Rache und Vergeltung sein mag. Das gilt für Ruanda ebenso wie für die USA. So weit muß der Universalismus beim Engagement für Menschenrechte schon noch reichen.

Die problematischste Entwicklung in der Praxis der Todesstrafe vollzieht sich derzeit im Bundesstaat Texas. Dort schickt man sich an, sämtliche Hinrichtungsrekorde in der US-Geschichte zu brechen. Seit die Fristen für die Revision zwecks Beschleunigung des Verfahrens drastisch gekürzt wurden, wird in Texas bald alle zwei Tage ein Mensch exekutiert. Eine Entwicklung, für die Bill Clinton gerne und stolz seine Mitverantwortung betont.

Was derzeit in Texas passiert, markiert in zweierlei Hinicht eine Zäsur: Zum einen hat sich das Primat der „Effizienz“ vor sämtliche rechtsstaatlichen Grundsätze geschoben. Durchschnittlich verbringt ein Todeskandidat in den USA acht bis neun Jahre im Todestrakt, was Menschenrechtler immer wieder als Argument gegen die Todesstrafe verwandt haben: zu teuer und zu unmenschlich, erklärten sie – in dem festen Glauben, Politiker und Richter würden es nicht wagen, solch geheiligte Rechtsmittel wie den Habeas-corpus-Antrag zu beschneiden. Doch eben dies ist in den letzten Jahren geschehen. Vor allem die Bundesgerichte, die in den fünfziger und sechziger Jahren zunehmend in die offen rassistische Rechtsprechung der Einzelstaaten eingegriffen hatten, ziehen sich immer weiter zurück. Billiger und schneller heißt jetzt die Devise, mit der Todesurteile vollstreckt werden. Früher wurde noch – zumindest in der öffentlichen Diskussion – der Grundsatz akzeptiert, lieber zehn Schuldige laufenzulassen, als einen Unschuldigen zu verurteilen. Heute deklarieren manche Staatsanwälte öffentlich die Möglichkeit eines tödlichen Fehlurteils zum „Restrisiko“, das die Gesellschaft im Kampf gegen die Kriminalität eben zu tragen habe.

Dieser Effizienzgedanke geht einher mit jener Entwicklung, die Befürworter der Todesstrafe in ihrem makabren Sinn für Euphemismus „Humanisierung“ nennen. „Friedlich“ und „sauber“ sind zwei Adjektive, die bei der Beschreibung einer Exekution durch die Todesspritze häufig fallen. Albert Camus hatte einst in seinen „Reflexionen über die Guillotine“ gehofft, bei der detaillierten Beschreibung einer Hinrichtung würde jedem der Kaffee hochkommen. Als der US-Fernsehjournalist Ted Koppel unlängst eine Hinrichtung durch tödliche Injektion beobachtete, war er eher durch den Umstand irritiert, daß sich kein Schock einstellen wollte. Das Töten wird hygienisiert, das minutiös geplante Hinrichtungsritual immer reibungsloser. Und weil diese Form des Tötens, die schon Ronald Reagan eher an das Wirken eines Tierarztes als eines Henkers erinnerte, so „friedlich“ erscheint, suggeriert sie eine Unterwerfung des Todeskandidaten – eine stille Einwilligung in die Feststellung, daß diese Gesellschaft ihn aufgrund seiner Taten nicht länger leben lassen will. Man werfe nur einen Blick auf die Statistik: Da werden Todeskandidaten, die ihre Rechtsmittel nicht vollends ausgeschöpft haben, unter der Rubrik „volunteer executions“, freiwillige Hinrichtungen, abgehakt.

Die Legitimationsmuster für diese „Modernisierung“ und Beschleunigung der Todesstrafenpraxis werden hingegen immer archaischer: Nachdem das Argument der Abschreckung in zahlreichen Studien widerlegt worden ist und in der politischen Debatte längst ausgedient hat, werden wieder Rache- und Vergeltungsbedürfnis vorgeschoben. Das mag angesichts einer so biblisch durchwirkten Gesellschaft nicht verwundern. Erschreckend ist aber, wie selbstverständlich der Staat seine Rolle im Strafrecht in den letzten Jahren auf dieses Bedürfnis reduziert hat – sei es durch den Präsidenten als Rachenengel nach dem Anschlag in Oklahoma City oder durch den lokalen Staatsanwalt, der seine Funktion in einem Mordprozeß nur mehr darin sieht, den Angehörigen des Opfers ein Recht auf Vergeltung (nicht aber auf Geltung) zu verschaffen. Das geschieht zum Teil aus Überzeugung, zum Teil aus wahlpolitischem Populismus, zum Teil aus Hilflosigkeit im Angesicht einer völlig desolaten Strafjustiz. Wie auch immer: Solange diese unheilvolle Verklammerung nicht gelöst wird – zum Beispiel durch Politiker mit genügend Courage, um die Todesstrafe in Frage zu stellen –, gilt, was man auf den T-Shirts der wenigen engagierten Todesstrafengegner lesen kann: „An eye for an eye makes the whole world go blind.“ Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind. Andrea Böhm

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