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Kohl erschlägt EU-Reform von hinten

In letzter Minute wurde in Amsterdam ein neuer EU-Vertrag verabschiedet – doch die Reform bleibt auf halber Strecke stehen. Die Schuld daran hat nicht zuletzt die Bundesregierung  ■ Aus Amsterdam Alois Berger

Am schlimmsten hat es Staatssekretär Hoyer erwischt. Eineinhalb Jahre lang hatte er mühsam an der deutschen Position für ein stärkeres Europa gebastelt, und dann haut der Kanzler mit dem Hammer drauf. Auch einige Regierungschefs, der Luxemburger Jean- Claude Junker beispielsweise, waren „zum Teil frustriert, zum Teil zufrieden“. Für die übrigen EU- Bürger ist das Verhandlungsergebnis von Amsterdam wahrscheinlich kein Problem. „Wir haben eine halbe Nacht um ein Einverständnes gerungen, wo wir uns einig sind und wo wir uns nicht einig sind“, sagte ein leicht verbitterter Junker.

Immerhin fand der Luxemburger Regierungschef auch Positives. Die kleinen Länder werden weiterhin einen EU-Kommissar in Brüssel stellen, und auch die geplante Umverteilung der Stimmengewichtung im Ministerrat zugunsten der großen Länder haben sie abgewehrt: „Die wollten uns den Garaus machen.“

Selbst wenn man den üblichen Wortmüll vom „großen Erfolg“ (Bundeskanzler Kohl) wegräumt, bleibt auch für die normalen EU- Bürger immer noch einiges übrig. Das Europaparlament hat in 24 zusätzlichen Bereichen Mitbestimmungsrechte bekommen, die längst überfällig waren. Und daß die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat kläglich gescheitert ist, muß auch kein Nachteil sein.

Denn was die Regierungschefs da vorhatten, war alles andere als stubenrein. Vor allem bei der Polizei- und Justizzusammenarbeit hätten die Mehrheitsentscheidungen in erster Linie die parlamentarische Kontrolle ausgehebelt: Wenn die Regierungen sich mit bloßer Mehrheit auf neue Gesetze einigen könnten, hätten nationale Parlamente keine Möglichkeit mehr, Einspruch einzulegen. Und eine Beteiligung des Europaparlaments hatten die Regierungschefs in diesem Bereich frühestens in fünf Jahren vorgesehen.

Was notwendig gewesen wäre, um die EU für die Osterweiterung fit zu machen und den Euro politisch einzubetten, war ohnehin nicht auf der Tagesordnung. Die Abschaffung des Vetorechts, bei einer EU mit 20 oder mehr Mitgliedern unverzichtbare Voraussetzung für die Handlungsfähigkeit, hatten die Regierungen bereits in der seit 16 Monaten laufenden Regierungskonferenz zerredet. Und für eine Harmonisierung der Steuergesetze, die für den Euro nötig wäre, sind die Finanzminister offensichtlich noch nicht reif.

In sechs Monaten werden die Beitrittsverhandlungen mit Zypern, Polen, Ungarn, Tschechien und vielleicht noch ein paar weiteren Ländern beginnen. Vor einiger Zeit haben die EU-Chefs den Abschluß der Regierungskonferenz als Vorbedingung festgeschrieben. Formal ist die Bedingung erfüllt, und kaum einer der Kanzler und Premiers hat gestern einen Zweifel daran gelassen, daß es jetzt losgehen kann. Doch nach Beginn der Beitrittsverhandlungen werde es „eine weitere Regierungskonferenz geben“, meinte Junker, in der die Probleme gelöst werden müßten.

Vielleicht schafft es das Europaparlament bis dahin, die Regierungen davon zu überzeugen, daß demokratische Lücken gerade auch bei der Polizeizusammenarbeit nicht zum Vertrauen der Bürger in die EU beiträgt. Denn Bundeskanzler Kohl hat die Mehrheitsentscheidungen in diesem Bereich nicht deshalb gekippt, weil ihn das demokratische Gewissen eingeholt hätte.

Vielmehr hatten ihm die Ministerpräsidenten von Bayern und Rheinland-Pfalz im letzten Augenblick gesteckt, daß durch ungünstige EU-Beschlüsse bei der Asylpolitik möglicherweise neuen Flüchtlingen der Weg nach Deutschland geöffnet werden könnte. Für Staatssekretär Hoyer war das besonders bitter, hatte er doch monatelang im Auftrag der Bundesregierung auf die Abschaffung der Einstimmigkeit hingearbeitet.

Ganz zum Schluß haben die Regierungschefs und ihre Außenminister dann noch die umstrittene Flexibilitätsklausel verabschiedet, die es künftig erlaubt, daß einige Länder eine engere Zusammenarbeit vereinbaren. Wer nicht mitmachen will, muß nicht, soll die anderen aber auch nicht aufhalten können.

Bei der Abstimmung muß es zugegangen sein wie auf einer Studentenversammlung, wo die Einigung irgendwann durch Erschöpfung der Teilnehmer erzielt wird. Kaum jemand hat noch mitgekriegt, worum es ging, alle wollten nur noch ein Ergebnis, um endlich rauszukommen. Außenminister Kinkel wollte sich anschließend nicht festlegen, was nun im Detail beschlossen wurde: „Alle waren sehr müde.“

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