: Stiftung Arbeitslosentest
Lesen, Schreiben, Rechnen: Arbeitsamt und die Stiftung Berufliche Bildung beglücken Erwerbslose mit Zwangsmaßnahmen ■ Von Karin Flothmann
„Wieviel ist 28 + 4?“Schon über die erste Frage des Mathetests kann sich Bettina A. maßlos aufregen. „Das ist doch Grundschulniveau!“meint die 44jährige Telefonistin, immerhin habe sie Abitur. Seit Anfang Juni besucht Bettina A. eine sogenannte Trainingsmaßnahme nach § 134a des Arbeitsförderungsgesetzes bei der Stiftung Berufliche Bildung (SBB) in Hamburg. Im Test gehe es dort zunächst darum, „Grundfertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu überprüfen“, erklärt Beate Buchwald, die Pressefrau der Stiftung.
Auch Karl-Heinz N. mußte den Mathetest absolvieren. Wie Bettina A. ist der 50jährige Sozialökonom seit einiger Zeit arbeitslos. Wie sie erhielt er Ende Mai einen Brief des Arbeitsamtes, in dem ihm die Teilnahme an einer achtwöchigen Trainingsmaßnahme bei der Stiftung „vorgeschlagen“wurde. Auf Seite 2 des Schreibens findet sich die „Rechtsfolgenbelehrung“: Weigere sich N., werde ihm die Arbeitslosenhilfe sechs Wochen lang gesperrt. Zugleich würde er den gänzlichen Verlust riskieren. Denn nach der zweiten Sperrzeit, so erläutert Holger Jung vom Arbeitsamt Mitte, „fliegt ein Arbeitsloser ganz aus den Bezügen raus“.
Unter Androhung der „Sperrzeiten“besuchten seit Februar dieses Jahres rund 1000 Erwerbslose ein Trainingsprogramm der Stiftung. Alle vier Wochen starten neue Kurse, rund 200 TeilnehmerInnen schickt das Arbeitsamt monatlich. „Gemessen an der Teilnehmerzahl“, so erklärt Beate Buchwald, „ist das unsere größte Maßnahme.“
„Wir stellen fest, wo Ihre Stärken liegen“, lockt ein SBB-Info-blatt. „Eignungsfeststellung“heißt das im Jargon des Arbeitsamtes. Man wolle wissen, so Arbeitsämtler Jung, „ob jemand für den Arbeitsmarkt überhaupt noch verwendbar ist“. In der Praxis sieht das so aus: Gleich am ersten Tag wurde den TeilnehmerInnen des Trainings ein Merkblatt überreicht. Unentschuldigtes Fehlen, so heißt es darin, wird mit einer Benachrichtigung des Arbeitsamtes quittiert. „Wir erwarten außerdem von Ihnen, daß Sie ohne Fahne erscheinen“, lautet die Alkoholregel. „Die denken, alle, die ihnen das Arbeitsamt schickt, sind Sozialschmarotzer“, empört sich Karl-Heinz N. Er ist überzeugt, daß die Trainings in erster Linie der „Disziplinierung von Arbeitslosen“dienen.
Joaquin N., 31jähriger Elektrotechniker, kann ihm nur beipflichten: „Das geht hier zu wie im Kindergarten.“Etwa beim Bewerbungstraining: „Da sollten wir alle Annoncen im Abendblatt zählen und anschließend die Adjektive unterstreichen. 'Freundlich, teamfähig, kontaktfreudig' – als wenn wir nicht wüßten, was gefragte Eigenschaften sind!“
Nach vier Einführungswochen folgt ab Juli ein Praktikum im Betrieb. Am Ende des Trainings steht ein Gutachten, erstellt von den LehrerInnen der Stiftung. „Kommunikationsfähigkeit“, „Eigeninitiative“, „Zuverlässigkeit“und „Pünktlichkeit“werden bewertet, Fehlzeiten registriert. „Diese Bestandsaufnahme“, so erläutert Arbeitsämtler Jung, „wird natürlich zusammen mit den Teilnehmern gemacht.“Anschließend werde das Gutachten dem Arbeitsamt „zur Erweiterung unserer Datenbank überlassen“.
„Wie kann sich die Stiftung dazu hergeben, diese Kontrollfunktionen auszuüben?“fragt sich Karl-Heinz N., seit er im Training steckt. „Die Dozenten sind doch nichts anderes als der verlängerte Arm des Arbeitsamtes.“Kritik sei nicht erwünscht, ständig werde mit dem Schlußgutachten gedroht. Holger Jung vom Arbeitsamt Mitte kennt den Widerstand gegen seine Trainingsmaßnahmen. Sein Fazit: „So mancher muß eben zu seinem Glück gezwungen werden.“
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