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Kurzfristig Geld, langfristig Nachteile

Der Senat im Privatisierungsrausch. Gasag, Wasserbetriebe, BVG, Banken: Der schnelle Verkauf stopft Haushaltslöcher, verschleudert aber Werte. Größere Staatskonzerne könnten den Besitz möglicherweise besser verwerten  ■ Von Hannes Koch

Einen horrenden Verlust verbucht die Stadtreinigung BSR fürs vergangene Jahr: 54 Millionen Miese. Der Müllentsorger mit seinen 8.150 Beschäftigten überweist deshalb nicht eine Mark an die Landeskasse. Wie in den Jahren zuvor: Die BSR ist zu 100 Prozent im Besitz des Landes, doch der öffentliche Haushalt profitierte nie.

Am Beispiel der Müllkutscher zeigt sich das ganze Dilemma, in dem das Land mit den ihm gehörenden Firmen steckt. „Wettbewerbsfähig“ werden, sprich: schwarze Zahlen schreiben, will der Abfallbetrieb frühestens im Jahr 2000. Welche Flächen der 80 BSR-Immobilien tatsächlich gebraucht werden, welche man verkaufen könnte, ist nicht bekannt. Und über seine Rücklagen bewahrt das Unternehmen Stillschweigen. „Wie soll man so etwas verkaufen?“ fragt sich nicht nur Volker Liepelt, Geschäftsführer der CDU im Abgeordnetenhaus.

SPD-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing braucht Geld, um die Milliardenlöcher im Haushalt zu stopfen, doch die meisten der über 160 Betriebe, die ganz oder teilweise dem Land gehören, zahlen nichts an die Landeskasse. Bei den meisten fehlt auch der Überblick, ob sie ein paar Mark oder einige Millionen abführen könnten.

Denkbar schwierig ist es deshalb, eine der entscheidenden politischen Fragen zu beantworten: Soll man die landeseigenen Unternehmen privatisieren, was meistens auf den Verkauf hinausläuft? Oder ist es sinnvoller, die Firmen in Staatsbesitz zu behalten, um sie anzuzapfen und den Landeshaushalt zu sanieren?

Klar ist bislang, daß vieles nicht so bleiben kann, wie es war. Neben der Daseinsvorsorge (etwa Wasser- und Elektrizitätsversorgung) kamen den Betrieben früher besondere politische Aufgaben zu. So mußte die Gasag teures Stadtgas herstellen, weil die Westalliierten den Vorposten des Kapitalismus unabhängig halten wollten von sowjetischen Erdgaslieferungen. Außerdem schufen die Staatsbetriebe Arbeitsplätze en masse, um die Beschäftigungslosigkeit zu verringern. Heute dagegen sieht der Senat die Töchter des Konzerns Berlin zunehmend als Kühe, die man melken will.

Dabei wendet sich die Regierung zunächst den einfachen Aufgaben zu. Beschluß ist: Die Landesaktien an der Gasag werden für eine Milliarde oder mehr verkauft. Die Wasserbetriebe können sich um das Paket bewerben. Mit ihren Vorstellungen, die Veräußerung der Gasanteile an den reichen Wasserversorger verbindlich festzulegen, konnten sich weder die Bündnisgrünen noch SPD-Wirtschaftssprecher Hermann Borghorst in seiner Fraktion durchsetzen. Immerhin erscheint hier noch möglich, daß sich die Wasserbetriebe zum Kern eines landeseigenen Konzerns mausern. Gewinnausschüttung wäre zu erwarten. Und der Senat könnte seinen Einfluß geltend machen, den „Standort Berlin“ etwa durch gezielte Auftragsvergabe zu stärken, meint die bündnisgrüne Finanzexpertin Michaele Schreyer.

Vordergründig rechnet sich der Gasag-Verkauf für die Landeskasse. Dividende zahlten die Gaswerke noch nie. Andererseits verfügt die Finanzsenatorin über eine zusätzliche Milliarde für den Haushalt 1997 und spart so rund 70 Millionen Mark Kreditzinsen jährlich.

Ob der Verkauf – und das gilt für alle anderen Veräußerungen und Privatisierungen auch – sich langfristig allerdings als guter Deal herausstellt, wissen nur die Götter. Mit einem Schlag nämlich ist auch das gesamte Anlagevermögen der Gasag futsch. Über 2 Milliarden Mark stecken in Maschinen, Rohren und Immobilien. Durch ihre Gasrechnungen haben die EinwohnerInnen Berlins diesen Reichtum mit aufgebaut.

Ziemlich sicher erscheint ferner, daß die Gasag irgendwann Dividenden zahlt. Möglicherweise ließe sich durch die geschickte Verwertung des Staatsbetriebes langfristig mehr Geld in die Landeskasse holen als durch den schnellen Verkauf. Wandert das Aktienpaket des Gasunternehmens zu den Wasserbetrieben, bleibt diese Möglichkeit mittelbar für die Zukunft erhalten – im Falle der Veräußerung an Privatkonzerne nicht.

Hier zeichnet sich jedoch bereits der nächste Schritt ab. Für den Wasserversorger könnte nach dem Willen von CDU-Mann Liepelt demnächst die Änderung der Rechtsform anstehen: von der Anstalt öffentlichen Rechts zur privatwirtschaftlichen Aktiengesellschaft, deren Anteile zunächst noch komplett das Land hält. Teile der Aktien stünden später jedoch ebenfalls zum Verkauf – mit den bekannten Vor- und Nachteilen.

Eines aber hat der Druck der Gewerkschaft ÖTV, die die Privatisierungspläne scharf kritisiert, schon bewirkt: „Die Änderung der Rechtsform bei den Wasserbetrieben läuft nur mit Zustimmung des Personals“, so Liepelt. Die Beschäftigten befürchten den Verlust von Vergünstigungen des öffentlichen Diensts.

Endgültig entschieden über die Richtung ist auch bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften noch nicht. Kurz vor den jüngsten Koalitionsberatungen beschloß die SPD-Fraktion, landeseigene Gesellschaften sollten andere ihrer Art kaufen, um dem Haushalt liquide Mittel zuzuführen. So entstünden, wie im Fall der Wasserbetriebe, größere Staatskonzerne. Laut Senatsbeschluß vom Dienstag soll dagegen jetzt die Gehag Heimstätten AG privatisiert werden. Als Interessent steht der Energiekonzern Veba, bekannt durch den Bewag-Kauf, auf der Matte. Die Gehag – geplanter Erlös: unbekannt – ist ein richtiger Brocken. Sie besitzt ca. 34.000 Wohnungen und baut riesige Siedlungen in Karow und Rudow.

So weit die Pläne des Senats. Weiter denken heute nur wenige. Eine davon: die grüne Finanzpolitikerin Michaele Schreyer. Sie schlägt vor, die Feuersozietät und die Öffentliche Lebensversicherung – beide gehören Berlin und Brandenburg gemeinsam – zu verkaufen, da ihnen keine politische Bedeutung zukomme. Als Erlös lasse sich mindestens eine halbe Milliarde Mark einplanen. Die Flächen des Messegeländes am Funkturm, für deren Modernisierung und Bebauung das Land Hunderte von Millionen investiert, soll die Landesbank kaufen.

Ferner gibt es Überlegungen, die Anstalten öffentlichen Rechts wie Wasserbetriebe, Hafenbetriebe (Behala), Stadtreinigung und BVG in einer Holding zusammenzufassen, um eine Quersubventionierung der armen Schlucker durch die reichen Firmen zu erreichen. Das würde den Landeshaushalt entlasten. Dieses Modell hat aber auch entscheidende Nachteile: Nach Lage der Dinge könnte man nur die ertragreichen BWB anzapfen, die mit der langfristigen Finanzierung der defizitären BVG (knapp eine Milliarde Zuschuß jährlich) völlig überfordert wären. Die Finanzverwaltung hat dem Holding-Modell gerade die endgültige Absage erteilt.

Weiter als der Senat denkt auch SPD-Verkehrsexperte Christian Gaebler. Für die BVG entwarf er ein Konzept, nach dem das Unternehmen in zunächst öffentliche Fahrweg-, Bus- und Bahngesellschaften aufgeteilt werden soll. Während Gaebler auf diese Art den Koloß dem Wettbewerb anpassen und den staatlichen Zuschußbedarf reduzieren will, schnuppert die Industrie- und Handelskammer gleich Morgenluft. „Rechtsform ändern, kurzfristig privatisieren!“ heißt es im Papier der Wirtschaft, der Gegner staatlicher Verwertung.

Die Diskussion zur Geldbeschaffung gehorcht der Not der Finanzkrise. Strategisch geplant wird da nicht. Pro Jahr braucht man schnell vier, fünf Milliarden Mark. Dann müssen ein paar Unternehmen dran glauben. Schwimmbäder, Flughäfen, Bankgesellschaft, Grundstücke, Rathäuser – der Senat befindet sich in einem wahren Privatisierungsrausch. Noch schlummern die meisten der 160 Staatsbetriebe ihren Dornröschenschlaf – bis die Privatisierer sie plötzlich wecken.

In jedem Fall aber gilt: Verkauf in der heutigen Situation bringt kurzfristig Geld, langfristig aber Nachteile. Denn in zehn bis zwanzig Jahren steht Berlin wie viele andere Kommunen im Hemd da.

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