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Die Welt des Bastian Balthasar Bux

■ Der Romantiker Michael Ende – Ausstellung im neuen Münchner Literaturhaus

Auf einem dunklen Fliesenboden liegt eine dunkle Kugel. Darüber bauscht durch einen leeren Fensterrahmen wild der Vorhang. Das stürmische Meer draußen reicht fast bis zum Haus, das kleine Boot mit den zwei Männern wirkt verloren. Daneben ein anderer Uferblick: Auf einer schräg im flachen Wasser stehenden Leiter hängt, sie beinahe verdeckend, mit gespreizten Schwingen ein großer, unheimlicher Vogel. Ein Mann steigt die Sprossen hinaus, ein anderer zeigt, beide Arme steif ausgestreckt, mit den Händen auf die Szene. Und ein dritter Eindruck: Über rotem Boden, vor tiefblauem Himmel und unter beängstigendem Mond schweben eine Frau und zwei Männer an einen Pfeil geklammert, der in der Luft liegt wie ein Hexenbesen.

Natürlich hätte man diese drei Bilder von Edgar Ende (1901 bis 1965), dem Vater Michael Endes (1929 bis 1995), nebeneinander an eine weiße Wand nageln und auf einer Texttafel wissenschaftlich wasserdicht dartun können, wie sehr der Maler seinen schreibenden Sohn prägte. Thomas Kraft und Volker Kinnius haben es in ihrer Ausstellung „Michael Ende und seine phantastische Welt“, der ersten im Anfang Juni eröffneten Literaturhaus München, anders gemacht: Sie haben Edgar Endes fensterloses, nur durch ein kleines Oberlicht erhelltes Atelier, in dem das Kind Michael laut eigenem Zeugnis „großgeworden“ ist, nachgebaut. Hier sieht man im Halbdunkel die beschriebenen und noch einige andere Bilder, hier hört man, was Edgar Ende bei der Arbeit hörte (Anton Bruckner und Max Bruch).

Man soll nicht lesen, was wie aus Michael Ende wurde, man soll es fühlen. Suggestion statt Argumentation. Das ist dann und nur dann berechtigt, wenn es die Wahrheit ist, die suggeriert wird. Und falls Bücher so sind wie ihr Verfasser, dann zeigen Kraft und Kinnius die Wahrheit. Edgar Endes unruhige Traumbilder wirken wie die gefährlichen Welten, in denen Bastian Balthasar Bux, der kleine Held aus „Die unendliche Geschichte“, sich bewähren muß. Michael Endes eigene, für die Buchausgaben nicht verwendete Zeichnungen zu „Momo“ sind auch so ähnlich.

Die Ausstellung erschöpft sich nicht im Atmosphärischen und auch nicht in Endes Freude am Verspielten, wie sie besonders heiter in den zwei „Jim Knopf“-Büchern zum Ausdruck kommt. Ende war Romantiker. Er suchte nach der geistigen Wirklichkeit hinter den Dingen; sie zu finden, braucht es seiner Ansicht nach jene schier unerschöpfliche Phantasie, für die seine Bücher praktizierend plädieren. Seine Sozial- und Kapitalismuskritik ist immer Rationalitäts- und manchmal auch Vernunftkritik. Dieser Antimaterialismus reicht ins Spirituelle und sogar ins Spiritistische. Ende erkannte sich im „Pagat“ wieder, der Jokerkarte im Tarot. Von allen Asterix-Heften fand sich in seinem Nachlaß ausgerechnet „Der Seher“, ferner Bücher über Magie, Handlesen, Pendeln und Verwandtes sowie ein kleiner Tisch für Séancen.

Wie alle guten Schriftsteller war Ende ein zäher Arbeiter. Zu den rührendsten Exponaten zählen heftig umgeschriebene Typoskripte, geduldige Briefe und Ausgaben der eigenen Bücher mit dankbaren, auf gemeinsame Schreibtisch- und Lebensarbeit bezogene Widmungen an seine erste Frau Ingeborg Hofmann.

Nicht zur Ausstellung gehört eine Wanduhr. Sie geht um mehrere Stunden falsch. Das ist für die bisherige Geschichte des Münchner Literaturhauses nicht ganz untypisch. Michael Ende hätte es gefallen. Michael Schweizer

Die Ausstellung im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1, läuft noch bis zum 21. September 1997, täglich 10 bis 20 Uhr. Außerdem gibt es ein Rahmenprogramm mit verschiedenen Veranstaltungen.

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