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Glücklich in der Provinz

In die Großstadt wollen sie nicht: Wolf Enders und Mathias Schumann, zufrieden mit sich und ihrer Gärtnerei in Deutsch-Wusterhausen bei Berlin  ■ Von Jens Rübsam

Die Menschen in Deutsch- Wusterhausen sind stolz darauf, die größte Musterhaus-Ausstellung Deutschlands in ihrer Gemeinde zu wissen. Nach der Wende wurde das Kopfsteinplaster aus DDR- Zeiten eilig überteert, weil dort die A 113 nach Berlin und die A 13 nach Dresden abgehen. Eine Ansiedlung, die kaum noch zum Speckgürtel der Hauptstadt zählt: Es riecht nach Gras.

Dort steht ein langgezogenes, flaches graues Häuschen mit kleinen Fenstern links, einem großen Schaufenster rechts und einer Ladentür in der Mitte. Das große Schaufenster ist ausgeschmückt mit Schnittblumen und Gestecken. Vor dem grauen Häuschen stehen Paletten mit Begonien und Zinnien, gelb und orange. Jetzt, kurz vor Ladenschluß, will noch eine ältere Dame etwas kaufen. Nichts Großes, aber ansehnlich soll es sein. Sie wird beraten von einem schwitzenden Mann, der verkaufen muß und auch will.

Mathias Schumann, 43 Jahre. Ein Mann mit kleinem Bauch und in blauem, leicht angeschmutzten Schlapperhemd. „So eine Begonie“, sagt er zu der Dame in sächsischem Tonfall, „braucht nicht viel Wasser. Die könn'se ruhig nehmen.“ Macht dreizwanzig.

Um die Ecke schlurft Wolf Enders, 58 Jahre. Er kommt in Hauslatschen, dunkelgrünen Jeans und blau-weiß kariertem Hemd, die Schubkarre fest im Griff. Lädt die Paletten mit den Pflanzen auf. Und sagt: „Mathias und ich machen alles gemeinsam.“ Schiebt die Karre zurück über den sandigen Bürgersteig sicher durch das morsche Holzlattentor hinein in den Hof hinter dem Haus. Mathias verabschiedet derweil die alte Dame: „Schönen Abend noch.“ Schließt die Ladentür ab und packt mit an.

Feierabend. Mathias Schumann wischt sich den Schweiß von der Stirn. Wolf Enders, sein Freund, sagt: „Seit drei Jahren haben wir das Geschäft. Und keinen Urlaub seither gemacht.“ So sei das eben mit der Selbständigkeit. Besitz verpflichte. Das Geschäft gehe vor, „auch vors Privatleben“.

Viertel nach sechs. Ein junger Mann klopft an das Tor: „Wir brauchen Ihre Hilfe. Ein paar Blumen.“ Wolf Enders nickt. Mathias schließt also die Ladentür noch einmal auf. Bindet einen Strauß. Dann ist Schluß, was noch kein Ende der Arbeit bedeutet. Pflanzen versorgen. Abrechnung machen. An Haus und Hof gibt's immer etwas zu tun. Das neue Hoftor steht noch immer in der Garage. Die braucht selbst ein neues Tor. „Keine Zeit“, stöhnt Wolf.

Wolf und Mathias. Vor 20 Jahren haben sie sich kennengelernt. In einer Homokneipe in Berlin. Mathias, der gelernte Gärtner aus Dresden; Wolf, der technische Assistent für Haustiergenetik an der Humboldt-Uni und Angestellter der Staatsoper Unter den Linden. Was Eigenes hatten sie schon immer gewollt. Ein Häuschen auf dem Lande, das sollte es sein.

Sie fanden eines, noch kurz vor der Wende, im brandenburgischen Deutsch-Wusterhausen. Eine übel heruntergekommene Baracke mit Löchern im Dach, verfaulten Dielen und Lehmdecken, quer über den Fußboden verteilt. „Das häßlichste Haus im Dorf“, sagt Wolf, fast schon zum Abriß freigegeben.

„Die Leute auf dem Lande sind sehr praktisch veranlagt“, meint Wolf. Als sie dann sahen, daß die beiden Zugezogenen aus der Ruine ein Haus machten, die Mischmaschine zu bedienen wußten und auch zu mauern verstanden, da haben sie nicht mehr über das Homopaar getratscht, sondern von den Handwerkern Schumann und Enders geredet. Und als Mathias vor vier Jahren den Blumenladen eröffnete, kamen die Leut', der Bäcker, der Fleischer und der Kneipier – obwohl es im Dorf schon einen Blumenladen gab und in den Einkaufscentern in der Nachbarschaft billigere Floristikware. „Daß wir schwul sind“, sagt Mathias, „war gar kein Thema.“ „Gut“, gibt er zu, „viel hängt auch davon ab, wie man sich gibt.“ Und glaubt: „Würden wir hier rumtucken, wäre das den Leuten sicher unangenehm.“ Sie tun es nicht.

Beide sitzen nebeneinander auf der Veranda, auf einer rotbraun gestrichenen Bank mit geblümten Kissen. Vor ihnen ein braunes Tischchen, daneben ein grüner Sonnenschirm. Um sie herum Struppi, der alte Hund, und Felix, der alte Kater. Über die Dorfstraße vorm Haus donnern die Lastwagen. Im Sportlerheim hinterm Garten treffen sich die Fußballer. „Ja“, sagt Wolf, „wir sind in der Provinz glücklich und zufrieden.“ Und wohl auch stolz auf das, was sie zusammen erreicht haben.

Nur einmal, da sind sie angemacht worden. Beim Spaziergang mit ihren Hunden. Kinder haben gepöbelt: „Jetzt kommen die schwulen Hunde.“ Aber: Sollten sie das überbewerten? „Nein“, meint Wolf. Kindergeschwätz halt. Und auch die Jugendlichen, die ihnen gegenüber verklemmt waren, sind aufgetaut. Kommen in den Laden und kaufen Rosen für ihre Mädels. Wolf und Mathias genießen am Abend ihre wenige Freizeit. Zeit auch zum Nachdenken. Beispielsweise über die Frage, wie es einmal wird, wenn einer nicht mehr da ist. „Was dann, wenn ich Mathias alles überschreibe würde? Und wenn ihm dann doch vor mir was passiert? Dann stehe ich da. Keinen Anspruch auf Haus und Hof“, sagt Wolf. So sei das eben mit der rechtlichen Benachteiligung von Homosexuellen.

Halb zehn. Wolf und Mathias versorgen noch die Pflanzen. Machen alles fertig für die Nacht und für den nächsten Tag. Abendessen. Früh ins Bett. Mathias muß schon um vier zum Großmarkt. Wolf geht um acht aus dem Haus. Zur Arbeit in die Staatsoper.

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