: Auf zu neuen Ufern!
Lesben und Schwule haben seit 1971 Freiräume erobert. Das reicht nicht aus. Die Homobürgerrechtsbewegung will mehr ■ Von Jan Feddersen und Ulrike Fokken
Die traditionelle Homobewegung ist tot. Das geschieht ihr recht. Stimmt schon, sie hat während der vergangenen zweieinhalb Jahrzehnte dazu beigetragen, in vielen Städten und Regionen kleine Freiräume zu etablieren. Metropolen wie Berlin, München, Frankfurt, Hamburg und Köln haben eine homosexuelle Infrastruktur, die vielen Lesben und Schwulen wie eine Verheißung vorkommt. In dieser Öffentlichkeit können sie sich freier bewegen.
Politisch sind die Erfolge indes marginal geblieben. Ein Land wie Brandenburg hat zwar den Schutz der sexuellen Würde in den Verfassungsrang erhoben. Und Schleswig-Holstein und Niedersachsen ermöglichen Homopaaren mit Anspruch auf eine Sozialwohnung, sich gemeinsam in die Wohnungslisten einzutragen.
Diese Beispiele sind Einzelfälle – und das ist der eigentliche Skandal. Homosexuelle werden nach wie vor diskriminiert. Daran ändern auch Anflüge kultureller Liberalität nichts. Die Tunte, der Mann in Frauenkleidern – tolerierbar; der kesse Vater, die Frau in Männerkleidern – geschenkt. Gute Quote machen fast nur schrille Homos. Überall aber, wo Schwule und Lesben ihre Normalität beanspruchen, hapert es mit Toleranz und Respekt.
Die Schwulenbewegung der siebziger und frühen achtziger Jahre war selten mehr als eine Ansammlung von Vereinen, die ihre höchstpersönlichen ästhetischen Entwürfe über das kultivierten, was Homosexualität ihnen bedeutet. Mit Bürgerrechtspolitik hatte das nichts zu tun. Ebensowenig mit einer Strategie, die Lesben und Schwule in allen Gesellschaftsschichten anspricht und sie für gemeinsame Interessen zu gewinnen sucht.
Eigentlich kreiste die Bewegung ideologisch vorwiegend um den eigenen Bauchnabel: Mal sollte der Homo eine Tunte sein, um sich besser zu fühlen, dann wieder ganz in Leder herumlaufen, um als subversives Paradeexemplar für das Milieu Ehre einzulegen. Und die Lesbe? Die war politisch gesehen eigentlich nur dann wirklich lesbisch, wenn sie die Abschaffung der Zwangsheterosexualität und des Patriarchats auf ihre Tagesordnung setzte.
Diese realitätsferne Mentalität verliert an Einfluß. Gut so. Mindestens seit der politischen Wende 1989 und der Erosion traditionslinker Utopien finden sich Lesben und Schwule zusammen, um in der real existierenden Bundesrepublik Veränderungen zu fordern. Sie sind pragmatisch. Erfolgsorientiert. Sie arbeiten mit allen zusammen, die Diskriminierungen und Gewalt gegen Homos nicht hinnehmen wollen – unabhängig von ihrer politischen Heimat.
Diese Strategie ist nötig. Mit den traditionell homofreundlichen Grünen, PDS und Teilen der SPD allein läßt sich wenig bewegen. Gebraucht werden auch die Parteien der bürgerlichen Mitte: Selbst wenn mit diesen Gruppen nicht gleich das Patriarchat abgeschafft wird, so ist mit ihnen wenigstens ein Antidiskriminierungsgesetz zu erreichen.
Kurzum: Jede kleine Veränderung ist besser als gar keine Veränderung. Der Reformbedarf ist offensichtlich: Homosexuelle Partnerschaften genießen keinen gesetzlichen Schutz. Lesbische Mütter oder schwule Väter haben bei Scheidungen von ihren heterosexuellen PartnerInnen schlechtere Karten. Homosexualität gilt in Schulbüchern als sonderbar. Beruflich haben Frauen eh ungünstigere Karrierechancen – als Lesben sind sie in den meisten Unternehmen nicht gesellschaftsfähig. Männer haben in höheren Etagen nur etwas zu suchen, wenn sie eine Frau vorzeigen können – was Schwule zur Lüge zwingt.
Doch selbst wenn es eine rechtliche Gleichstellung gibt, bleibt die wichtigste Utopie zu realisieren: Diese Gesellschaft wird lernen müssen, Homosexuelle als Andere willkommen zu heißen. Hieran arbeiten schon jeden Tag und überall Lesben und Schwule – dort wo sie wohnen, leben und arbeiten.
Sie haben den gesellschaftlichen Mainstream mit und ohne Federboa erreicht. Es gibt genügend, die mit ihren Versuchen Erfolg haben, sich nicht zu verstecken. Einige von ihnen – ob in der ostdeutschen Provinz oder in der Millionenstadt – stellen wir in dieser Homotaz vor. Ihre Berichte und Auskünfte zeugen vom Stolz und der Kraft, sich als Homosexuelle offen zu behaupten. Insofern sind sie die Enkelkinder jener Homos, die sich 1969 in der New Yorker Christopher Street gegen Polizeiwillkür zu wehren begannen. Ihr Motto: „Raus aus den Schränken, rein in die Straßen.“ Den nötigen Beistand im Alltag müssen Homosexuelle aus den Institutionen erhalten. Die Bundesrepublik, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck, ist ein „homopolitisches Entwicklungsland“.
Beck hat recht – vor allem im Vergleich mit den europäischen Nachbarn. In Dänemark, Schweden, Norwegen und den Niederlanden haben Schwule und Lesben selbstverständlich (fast) gleiche Bürgerrechte; in Spanien wird noch in diesem Sommer ein Gesetz zur Gleichstellung alternativer Lebensformen im konservativ dominierten Parlament abgestimmt; Frankreichs Linksregierung bereitet ein solches Projekt vor.
Homos müssen selbstbewußt sein. Auch in Deutschland. Sie müssen die Parteien nach ihren Vorstellungen zur Entdiskriminierung von Lesben und Schwulen befragen – und dann entsprechend wählen. Dieser Kampf wird mühsam genug. Es lebe die neue Homobewegung!
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