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Rakete fliegt auf Abwegen

Verteidigungsausschuß muß sich in einer Sondersitzung mit Mängeln der „Harm-Rakete“ befassen. Rühe räumt „Restrisiko“ ein. Deutsches System angeblich besonders treffsicher  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Der Verteidigungsausschuß in Bonn soll sich in einer Sondersitzung, die SPD und Bündnisgrüne für den 10. Juli beantragt haben, erneut mit Mängeln der Harm-Rakete befassen. Die Waffe wird bei der Nato-Mission im ehemaligen Jugoslawien von verschiedenen Streitkräften eingesetzt, darunter auch von der Bundeswehr. Bereits gestern hat Verteidigungsminister Volker Rühe dem Ausschuß Rede und Antwort gestanden. Dabei sind jedoch nach Meinung von Wehrexperten der Opposition Fragen offen geblieben.

Das ARD-Fernsehmagazin „Panorama“ hatte am Donnerstag berichtet, die Rakete weise „gravierende Schwachstellen“ auf. Mehrfach sei sie unkontrolliert geflogen, auch während des Bosnieneinsatzes. Dort wurde sie allerdings nicht von der Bundeswehr abgefeuert. Die militärische Führung der Hardthöhe sei seit 1995 über die Gefahr informiert gewesen. In einem internen Bericht der Bundeswehr wird in diesem Zusammenhang vor einer „Gefährdung der Zivilbevölkerung und eigener Truppen“ gewarnt.

„In diesem Papier sind Fehler enthalten“, sagte dazu gestern ein Sprecher der Hardthöhe. Der Bericht sei „auf Referentenebene“ geschrieben worden und nicht mit der militärischen Leitung abgestimmt. „Viel Lärm um nichts“, wiegelte Minister Rühe selbst gestern im Verteidigungsausschuß ab. „Es gibt keine Geheimnisse.“

Rühe erklärte, die Harm-Rakete sei die „derzeit modernste Waffe zur Bekämpfung gegnerischer Luftverteidigungs-Radarstellungen“. Der Verteidigungsminister räumte ein „Restrisiko“ ein, wenn das Radar nach Abfeuern der Rakete abgeschaltet werde. Dann könne das Ziel verfehlt werden. „Mit dem Verbund aus ECR- Tornado, Harm und Aufklärung wird dieses unvermeidbare Restrisiko aber auf ein Minimum reduziert. In diesem Punkt unterscheiden wir uns gravierend von anderen Harm-Trägern.“ Im Klartext: Die deutschen ECR-Tornados, die mit der Harm-Rakete ausgestattet sind, verfügen über zusätzliche technologische Absicherungen der Zielauffassung und Zielgenauigkeit. Das macht das deutsche System angeblich sicherer als die Systeme der Nato-Partner.

Diese Erklärung hat die SPD- Wehrexperten mindestens teilweise beruhigt. Die grüne Abgeordnete Angelika Beer hatte im Ausschuß beantragt, die Bereitstellung der ECR-Tornados für die SFOR-Mission in Bosnien sofort aufzuheben. Das lehnten die SPD- Parlamentarier ab – unter anderem auch deshalb, wie Walter Kolbow später vor der Presse begründete, weil angesichts der Lage in Bosnien derzeit nicht unmittelbar mit einem Einsatz zu rechnen sei. Auf die Frage eines Journalisten, ob die SPD bei einem Rückzug der Tornados nicht einfach allzu großen außenpolitischen Flurschaden befürchte, ging Kolbow nicht ein.

Weshalb die SPD-Abgeordneten die deutsche Rakete für sicherer halten als die der Nato-Partner, bleibt unklar. Dem Ausschuß liegt ein Antrag zur Verbesserung des Systems in Höhe von rund 44 Millionen Mark vor. Dabei handelt es sich Uta Zapf (SPD) zufolge um eine „Nachrüstung, die die Amerikaner längst erledigt haben“.

Einig waren sich die Wehrexperten der Opposition gestern in einem: Sie fühlen sich vom Verteidigungsministerium „sehr schlecht“ informiert.

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