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■ Hongkong: China hat nun eine neue DemokratiebewegungDer lange Atem von 1989

Mag es die einen zu Henkern machen und die anderen zu Märtyrern: Mit der Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik wird die chinesische Politik wieder spannend. Es gibt wieder eine Demokratiebewegung im Reich der Mitte, und die roten Kaiser aus Peking, die mit stolzer Brust in Hongkong einzogen, können ihrer Sache so sicher nicht sein.

Gestern noch waren alle Führer der chinesischen Demokratiebewegung von 1989 hinter Schloß und Riegel oder längst dem Land entflohen. Das Reich schien befriedet. Heute schon agieren die Führer der Hongkonger Demokratiebewegung – Martin Lee, Emily Lau und Szeto Wah – im Pekinger Hoheitsbereich. Ihre Schonzeit unter dem Schutz der englischen Krone ist abgelaufen. Jetzt holt die drei das Schicksal ein, das 1989 begann: Lee, Lau und Szeto sind Revolutionäre im kommunistischen China. Anders haben sie es nie gewollt.

Da mögen manche noch lachen und Lee einen Märtyrer schimpfen, wenn der Vorsitzende der Demokratischen Partei heute morgen – wie geplant – vom Balkon des Hongkonger Parlamentsgebäudes Chinas demokratische Bestimmung verkünden sollte. Doch schon einmal verging den illustren Industriekapitänen, geheimen Parteikommissaren und überlebenden Kolonialherren der Stadt das Lachen: Als im Mai und Juni 1989 Millionen Hongkong-Chinesen in Solidarität mit den auf dem Tiananmen-Platz streikenden Studenten die Straßen der sonst so cleanen Finanzmetropole besetzten.

Im Nu wandelte sich damals die Kultstätte des großen Geldes zu einer Hochburg demokratischer Werte. Und 1989 lebte fort – immer dann, wenn es zählte: Zuletzt demonstrierten in Hongkong 50.000 Menschen am 8. Jahrestag des Tiananmen-Massakers. Um so beunruhigender für Peking, daß diese anhaltenden Massenkundgebungen von westlichen Organisationen weder unterwandert noch infiltriert waren. Denn im westlichen Sinne weltoffen ticken in Hongkong vor allem die Tycoons im Rolls-Royce. Explizit demokratisches Denken fördern allenfalls ein bis zwei Intellektuellenmagazine vor Ort. Hongkong- Chinesen schauen nicht einmal CNN. Gerade das aber macht die neue chinesische Demokratiebewegung in Hongkong so explosiv: Demokratie kennt man hier nicht als Produkt der Verwestlichung, sondern als spontanen, massenhaften Ausdruck gegen die Tyrannei. 1989 war insofern nichts anderes als 1789. Solche Daten haben einen längeren Atem als alle Kaiser – ganz gleich welcher Farbe. Georg Blume

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