Durchs Dröhnland: Ausgerechnet Alabama
■ Die wichtigsten und überflüssigsten, die besten und schlechtesten Konzerte der kommenden Woche
Alter vor Schönheit: Jethro Tull kennen die Jüngeren unter euch vielleicht noch daher, daß es diesen einen Song gab, der auf den Parties eurer Eltern gespielt wurde, wenn ihr längst schon nicht mehr die Nasen in die Gläser mit den Schnapsresten stecken durftet. Statt dessen lagt ihr im Bett, und dieser Stampfebeat dröhnte besonders laut durch die Mauern, und bei der hysterischen Flöterei konnte man garantiert nicht einschlafen.
Der Song hieß „Locomotive Breath“ und war von denen. Die sind so alt, daß sie es sich sogar mal getraut haben, Johann Sebastian Bach zu covern. Ihr Sänger züchtet übrigens Lachse in Schottland – wenn er nicht gerade Querflöte spielt.
8. Juli, 20 Uhr, Arena, Eichenstraße 4
Jetzt eine noch nützlichere Information: Didjeridoos werden geschnitzt aus Eukalyptusstämmen, in die zuvor von Termiten das Loch gefressen wurde. Damit kann der werte Leser nun meinetwegen beim nächsten Kaffeekränzchen glänzen, mir genügt's als Einstieg für Trance Mission. Deren Didjeridoo-Bläser Stephen Kest glaubt, daß das Instrument der australischen Aborigines einen jeden – ob Zuhörer oder Spieler selbst – unweigerlich mit der Erde in Verbindung setzt. Sein aus San Francisco stammendes Quartett verknüpft den ruhig schwebenden Klang aus dem Termitenlochfraß mit vielerlei anderen exotischen Instrumenten wie Tablas, Kalimbas oder Gamelan, aber auch mit elektronischer Klangerzeugung.
Die vier wollen zwar nichts von New Age wissen, sind aber notgedrungen nicht allzuweit davon entfernt, denn auch wenn sie Wert auf die Rhythmik legen, bleibt diese doch meist zu zurückhaltend für die gestählten Trommelfelle des modernen Tanzschaffenden von heute. Die Trance ist hier wörtlich zu nehmen, das Kreisen der Weg, der kein Ziel hat und dann doch irgendwann meditativ zur eigenen Mitte findet. Irgendwas ist unzweifelhaft dran an diesem Instrument, vielleicht ist es ja doch die besondere Verbindung zu Mutter Erde, vielleicht sind's auch nur die Termiten.
5. Juli, 22 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176
Wer sich schon auf der Erde nicht heimisch fühlt, weil er eigentlich vom Planeten Q oder so kommt und dann ausgerechnet in Alabama raumschiffbrüchig geworden ist, dem scheint es in Berlin besonders gut zu gefallen. Man...or Astro-Man? sind schon wieder in der Stadt, um in Nasa- Uniformen oder Raumhelmen ihren Surfsound zu spielen, der an den feuerroten Sandstränden des Mars getestet wurde. Weil sie zurück aus der Zukunft kamen, haben sie im 21. Jahrhundert bereits Millionen von Platten verkauft und sind nun hier, um ein gefährlich großes Loch im Zeit-Raum- Kontinuum zu stopfen.
Wer Dick Dale kennt, weiß, was eine Back-from-the-Grave- Compilation ist. Und wer darüber hinaus nichts gegen zwischenzeitliches Piepsen hat, wird vielleicht mitgenommen in die vierte Dimension. Weil die Nasa sich noch nicht so entwickelt hat, daß es sich lohnen würde, ihre Raketen zu klauen, singen Man...or Astro- Man? jetzt sogar manchmal. Schließlich müssen sie mehr Geld verdienen, um endlich von diesem gottverdammt langweiligen Planeten wegzukommen.
6. Juli, 21 Uhr, Die Insel, Alt- Treptow 7
El Vez, wie der Standard aus Wien es getan hat, den „besten aller Elvis-Imitatoren“ zu nennen, tut dem Mann unrecht. Wo doch inzwischen jeder weiß, daß der von seinen Fans ungerechterweise zum König des Rock 'n' Roll Erklärte bloß ein tablettensüchtiger, Schnulzen singender, zweitklassiger Schauspieler war, der eigentlich lieber CIA-Agent geworden wäre.
El Vez aber ist immer noch alles, was Elvis nur wenige Monate lang war: aggressiver Sex und jugendliches Draufgängertum, Rebellion und Revolution, zuckende Beats, mächtige Koteletten und natürlich der Hüftschwung. Und er fügt dem Bild ein aufgemaltes Oberlippenbärtchen, spanische Texte, klapprige Bläser und ein paar Mariachis hinzu. Ein Latino aus dem Immigranten-Viertel einer beliebigen amerikanischen Großstadt dreht die Kulturgeschichte des weißen US-Mittelstands durch den Fleischwolf und würzt mit Chili nach.
Im CD-Inlet posiert El Vez als patronengurtbehängter Guerillero vor dem roten Stern, und aus „Misery Train“ wird eine Hymne auf Pancho Villa. Inzwischen begnügt sich El Vez nicht einmal mehr nur mit dem Rock 'n' Roll, auch T.Rex zählt längst zu seinen Opfern, und den Musical-Gassenhauer „Jesus Christ Superstar“ hat er umgedichtet. Zu seinem verfetteten Vorgänger findet er klare Worte, und die Ausgebeuteten haben längst die Geschichte ihrer Unterdrücker adaptiert: „Some call me Elvis / Some name me king / It don't make no difference / It's a Mexican thing / I'm el groover“.
8. Juli, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Straße 224
Lange her, daß Massive Attack Bristol zum Nabel der an Turntables und Reglern drehenden Welt machten. Inzwischen baut jeder zweite 16jährige aus der Provinz ihre Soundscapes nach, die 1990 den DJ endgültig zum Musiker werden ließen und als finanziell interessantes Abfallprodukt TripHop zur Folge hatten. Was natürlich nichts daran änderte, daß das DJ-Konglomerat immer für ein paar smoothe Beats gut war. Und für ein paar nette Ideen: Auch schon eine Weile her ist es, daß sie den Doors den Tanzboden bereiteten und die Solo- Karriere von Nicolette anstießen.
Seitdem hat sich in Bristol nichts Weltbewegendes mehr getan, die Bühne ist inzwischen woanders aufgebaut, und Massive Attack haben ganz gemütlich mit dem Mad Professor alte Songs in Ragga-Versionen neu abgemischt. Sie sind die Elder statesmen einer trotz aller Technologie dann doch rührenden und romantischen Musik geworden, die komischerweise die Charts niederwalzte. Jetzt fahren sie, immer noch dezent, aber immerhin, die Ernte ein.
8. Juli, 20 Uhr, Arena Thomas Winkler
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