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■ Toni Negri, Theoretiker der Autonomen, ist aus dem fran- zösischen Exil nach Italien zurückgekehrt. Ins Gefängnis„Wir wollten den Bürgerkrieg nicht“

Toni Negri, Philosophieprofessor, gründete in den 70er Jahren die linksextreme „Potere operaio“, aus der später die militante Gruppe „Autonomia Operaia“ hervorging. Negri wurde Ende der 70er zu 12 Jahren Haft verurteilt, obwohl ihm, außer staatsfeindlicher Äußerungen nie konkrete Straftaten nachgewiesen wurden. 1983 floh Negri nach Frankreich. Am Dienstag kehrte er freiwillig ins italienische Gefängnis zurück. Das Gespräch wurde vor seiner Rückkehr am 28. Juni in Paris geführt.

taz: Kehren Sie als politisch Besiegter nach Italien zurück?

Toni Negri: Die Autonomia Operaia hat auf einen kontinuierlichen Übergang zwischen der traditionellen Arbeiterbewegung und den neuen Subjekten gesetzt, die sich auf Grund der Entwicklung des modernen Kapitalismus gebildet haben. Den Gewerkschaften der Fabrikarbeiter stand eine neue Klasse gegenüber, die durch ihre intellektuelle und soziale Arbeit noch keine neue Identität besaß und mit autonomen Organisationsstrukturen operierte.

Unser Ziel war es, diesen Übergang von der klassischen Fabrikarbeit hin zur gesellschaftlichen Arbeit zu gestalten. Dieses neue Subjekt, das wir den „sozialen Arbeiter“ nannten, bestimmt heute unsere Gesellschaft. Die Bemühungen, diesen Prozeß durch politische Aktionen zu beschleunigen, sind gescheitert. Insofern sind wir besiegt worden, nicht jedoch in unseren Einschätzungen des veränderten Arbeitsbegriffs.

Sie kehren nach Italien zurück, um eine neue Amnestiedebatte anzustoßen?

In keinem europäischen Staat hat man so menschenverachtend auf die sozialen Bewegungen nach 1968 reagiert. Die politische Strategie in Frankreich und Deutschland bestand darin, die breite Masse der Bewegung z. B. in der Partei der Grünen oder in Alternativprojekten zu absorbieren. Dadurch wurden die radikalen und terroristischen Gruppierungen isoliert. In Italien verfuhr und verfährt man immer noch anders: Die gesamte außerparlamentarische Bewegung wurde als terroristisch bezeichnet, eine ganze Generation wurde kriminalisiert und in das innere und äußere Exil getrieben. Dagegen mußten wir uns wehren. Mit meiner Rückkehr möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die neue Regierung Italiens die Chance hat, dieses Erbe der ersten Republik aufzuarbeiten und die dunkle Vergangenheit des Staatsterrorismus würdig und demokratisch abzuschließen. Die staatliche Politik der Provokation hat in den 60er Jahren viele Tote verschuldet; es wurden Banken und Züge gesprengt. Das Attentat von Bologna, bei dem über 100 Menschen ums Leben kamen, wurde von Geheimdiensten und bezahlten rechtsradikalen Kräften durchgeführt. Sicherlich haben wir und unsere Bewegung Fehler gemacht. Aber keiner von uns wollte diesen Bürgerkrieg.

Fordern Sie einen neuen, gerechten Prozeß?

Nein, einen neuen, gerechten Prozeß kann es nicht geben, die Verfahren sind abgeschlossen. Im Fall Sofri [Gründer der Lotta Continua, der kürzlich in einem äußerst fragwürdigen Mordprozeß verurteilt wurde, Anm. d. Red.] wurde gestern endgültig gegen eine Neuaufnahme des Prozesses entschieden. Ich möchte die parlamentarische Diskussion um die Amnestie vorantreiben. Seit vier Legislaturperioden wartet ein Gesetzentwurf auf seine Verabschiedung. In den meisten der damaligen Urteile wurden Höchststrafen ausgesprochen. Daß hier staatlicher Machtmißbrauch vorlag, insbesondere bei der Verwendung von Kronzeugen und „Reumütigen“, deren Aussagen sich später oft als falsch erwiesen, darf nicht vergessen werden. Dies wird durch den französischen Staat unterstrichen, der seit 1979 den Verurteilten dieser italienischen Justiz Exil gewährt.

Glauben Sie, daß sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in Italien im Vergleich zu den 70ern wesentlich verändert haben?

Das kann man nicht so schnell und allgemein beantworten. Man kann allerdings beobachten, daß die Staatsbürger heutzutage eine Macht besitzen, die größer ist als je zuvor. In allen Bereichen entfaltet sich die produktive Kraft der immateriellen Arbeit. Das eigentliche Problem besteht darin, einen neuen öffentlichen Raum zu gestalten, in dem die demokratischen und produktiven Kräfte miteinander wirksam werden können, damit die einzelnen die Kraft des Gemeinschaftlichen entdecken und wahrnehmen, welches Vermögen der gemeinsamen, demokratischen Produktion innewohnt. Ich unterscheide nicht zwischen politischem und privatem Handeln, sondern denke Individualität und Gemeinschaft auf demokratisch-produktiver Grundlage zusammen.

Wie läßt sich in einer elektronischen Gesellschaft politisch handeln, in der sich die einzelnen Arbeiter nicht persönlich kennen?

Das ist nicht einfach, aber ich denke, daß man einfach tätig werden muß. Ich nehme meine politische Arbeit auch von ganz unten wieder auf – nämlich vom Gefängnis aus. Mit der Rückkehr möchte ich der Generation, die durch die Antiterrorgesetzgebung der 70er Jahre marginalisiert wurde, einen Anstoß geben, das innere und äußere Exil zu verlassen und wieder am öffentlichen Leben teilzunehmen. Das ist die Chance, sich zu reidentifizieren.

Aber das Gefängnis ist ein Ort der Nicht-Kommunikation, des Ausschlusses von der politischen Tat.

Das stimmt nicht. Man kommuniziert nicht nur mit Hilfe der elektronischen Instrumente, sondern vor allem durch die Position, die man in einer politisch-sozialen Situation einnimmt. Es kommunizieren immer die Körper, auch im Internet. Wenn es diese Körperlichkeit nicht gibt, diesen Zusammenhang von Rationalität und Gefühl, von Intelligenz und Emotionalität, ist jede Kommunikation leer, eigentlich inexistent. Das Gemeinsame geht uns voraus und zwar in körperlicher Form.

Offenbar verbinden Sie mit den neuen digitalen Techniken politische Hoffnungen?

Ja. Meiner Ansicht nach lassen sich die neuen Kommunikationsmittel zum Aufbau einer politischen Gemeinschaft nutzen. Aber das setzt voraus, daß man gemeinsame Interessen und Ziele definiert, zum Beispiel gegen die Unterbezahlung der intellektuellen Arbeit oder der Heimarbeit. Auch ein Kommunikationsstreik ist daher denkbar. Und die französischen Streiks im Winter 1995 haben gezeigt, daß sich vereinzelte Individuen durch eine gemeinsame Praxis reterritorialisieren können. Interview: Angela Melitopoulos/ Nils Röller

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