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Immer seltener: Alpenbauern

Ein wertkonservatives Buch über die letzten Menschen in einem abgelegenen Tal im Piemont  ■ Von Christel Burghoff

Die Zeiten sind düster. Wenn die Entwicklung in abgelegenen Alpentälern wie dem italienischen Val Vogna so weitergeht, dann kann Eberhard Neubronner, Autor des Buches „Das Schwarze Tal. Menschen im Piemont – Eine Annäherung“ bald eine Fortsetzung schreiben, etwa unter dem Titel „Der letzte Bergbauer“. Denn eben dies passiert hier: Wo 1708 noch 534 Menschen in 19 Weilern lebten, sind es heute nur 31 Personen in 6 Weilern; wo seit 700 Jahren dem Bergwald Wiesen abgetrotzt wurden, macht heute Wildnis die Erfolge menschlicher Kulturarbeit zunichte.

Neubronner, Literaturpreisträger des Deutschen Alpenvereins, hat eine Art Endlosroman über seine vielen Besuche im Tal verfaßt. Eine Form also, die sich gut liest – zumal der Autor alle, die er trifft, mitreden läßt.

Beispielsweise die Natur: Selten hat man sie so hautnah in Aktion erlebt. Sie quasselt, sie flüstert dunkel, sie blinkt, schluckt, kocht und kriecht. Wenn Neubronner im Tal unterwegs ist und von Weiler zu Alpe und vom Berg zum Hospiz zieht, dann nimmt ihn „die stechende Sonne aufs Korn“, und „hartes Gesträuch quittiert jeden Kontakt mit Schlägen“. Wo andere vom Erdrutsch reden, da hat für Neubronner der Berg „zähen Brei ausgekotzt“. Neubronner hat keine Hemmungen, Natur zu einem handelnden Subjekt zu machen mit allen Eigenschaften von gutem oder schlechtem Benehmen. Und wer dabei an bemühte Metaphern denkt, der wird nicht ganz falsch liegen. Es sei denn, man hält diese Sprache für angebracht.

Man erfährt, daß sich die Arbeit am Berg nie lohnte. Die Menschen blieben immer arm. Frauen mußten sich zu Beginn dieses Jahrhunderts wie Lasttiere anheuern lassen. Es gab ja keine Straßen. In den Wintermonaten gingen viele der Männer nach Frankreich, um ein Zubrot als Handwerker zu verdienen. Ihr Dasein läßt sich mit „fünf schmutzigen Fingern“ charakterisieren: „Einsamkeit, Enge, Armut, Stumpfsinn und fehlende Hoffnung“. Trotzdem: Sie kamen immer wieder zurück. Meistens jedenfalls.

Heute bleiben sie fort. Was natürlich schade, aber auch verständlich ist. Doch komischerweise macht Neubronner daraus eine Frage von Sitte und Anstand. Daß die einen gehen, während die anderen noch bleiben, hat offenbar mit „Stolz“ zu tun. Denn trotz aller Quälerei hatten die Bergler, so berichtet der Autor, den Stolz, jemand zu sein. Sie waren zwar arm, aber frei. Neubronner spielt traditionelle Normen gegen moderne Werte vom besseren Leben aus und bezichtigt die Abwanderer dabei mehr oder weniger direkt der Würdelosigkeit. Und damit nicht genug: Diese erscheint als eine Krankheit, die das Tal heimgesucht hat. Eine Krankheit, die es „auszehrt“.

Es ist starker, wertekonservativer Tobak, den uns der Autor zumutet. Es mag ja im Trend der Zeit liegen, sich an alle in Auflösung befindlichen Werte zu klammern, um wenigstens noch einen Hauch schöner Natur zu retten. Doch es ist auch eine in der Literatur wohlvertraute Pose: Man denkt sich in sogenannte gute Einheimische hinein und spricht quasi in ihrem Sinn und aus ihrem Geist heraus. Zeit- und geschichtslos, sind sie mal Weise, mal Helden, mal Opfer des Schicksals.

Bei Neubronner sind es Todgeweihte. In seinen Worten: „Wer hier ausharrt, gleicht einem Menschen auf dem letzten Pfeiler im Fluß. Der Steg vor und hinter ihm ist schon zerstört; er kann sich nur festkrallen und verhungern oder ins Wasser springen, das ihn fortreißt.“ Muß man sie wirklich als derart hoffnungslose Fälle hinstellen?

Wie sie wirklich leben, erfahren wir in diesem Buch nicht. Neubronner schweigt sich über ihre sozialen Verhältnisse und die politischen Vorgänge vor Ort aus. Seine Schicksalsgemeinschaft am Berg ist in ein seltsam fernes Licht gehüllt. Alle – einschließlich der Natur und den Besuchern – agieren darin wie in einem bäuerlichen Mysterienspiel. Bleibt noch anzumerken, daß dieses Buch sehr ansprechend aufgemacht ist: schön gebunden und mit schwarzweißen Fotos, eine Karte vom Tal ist beigefügt. Und auf dem Lesezeichen sind sie alle vom Wirt bis zum Baggerführer namentlich verzeichnet. Als ob sie nur auf uns warteten, uns, die sanften Touristen.

Eberhard Neubronner:

„Das Schwarze Tal. Menschen

im Piemont – Eine Annäherung“.

Panico-Alpinverlag,

Köngen 1996, 39,80 DM

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