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Trotzige digitale Trostspender

■ Die Ausstellung „enjoy!“auf Schloß Agathenburg macht ihren fröhlichen Titel zum Programm

Bunte Fahnen flattern an der Schloßauffahrt wie für eine Produktpräsentation. Sie werben, seltsam genug, für „Kosher Art“. Zvika Kantor aus Tel Aviv, der lange in Hamburg lebte, kombiniert disperate Kitschelemente zu einer Metasprache des Konsums. „Wie konnte ich ohne meine Mutter Hühnersuppe in der Badewanne trinken?“fragt eine der Arbeiten, die als Suppendosenetikett lesbar wäre – und die Campbell-Dose Andy Warhols läßt grüßen.

Die Ausstellung auf Schloß Agathenburg heißt enjoy! und kombiniert Werke von zehn internationalen KünstlerInnen. Der erfreuliche sommerliche Spaß ist aber kritisch gemeint. Eine Auseinandersetzung mit der Oberflächlichkeit der Genußgesellschaft soll die Arbeiten verbinden. Doch dieser rote Faden der Zusammenstellung ist von der Kuratorin Nasim Weiler locker geknüpft. Auch wird kaum auf die speziellen Räumlichkeiten des Schlosses eingegangen.

Am ehesten eignet sich noch Rupprecht Matthies die Räume an, indem er ein Parkettzimmer in Augenhöhe mit einem „Rückgrad eines 144-Füßlers“aus dünnen Holz umgürtet oder laubgesägte Wörter in den Treppenflur hängt. Auffällig auch David Neat: Der in Hamburg lebende Engländer entwickelt seine künstliche Biologie systematisch weiter und zeigt eine Ansammlung von blaßrosa bis knallroten, undefinierbaren kleinen Formen, die allein durch sanfte Teddy-Augen Kontakt mit unserer Welt aufnehmen. Undefinierbar auch die düster-hochglänzende Kunststoff-skulptur „Proxy“(= Stellvertreter) der documenta-x-Teilnehmerin Siobhan Hapaska, tatsächlich eine geformte Leerstelle für irgendetwas im Nirgendwo der Imagination.

Mit heimlichen Botschaften durchwirkte Pullover, eine gehäkelte „Kuh auf Wiese“, zwei Partner zusammenzwingende, nur gemeinsam tragbare Anzüge, Lippen und Blicke von Claudia Schiffer, der lustvolle Tod eines Surfers in der blauen zwölf-Meter-Welle auf Video und die unerfüllbare Sehnsucht nach Souvenierkitsch runden die Palette der vergifteten Freuden ab.

„Ich hab' da ein Problem: Sind Frauen ein Irrtum Gottes?“raunzt der Handtuchspender auf dem Männerklo, kaum daß man Papier ziehen will. Er und vier „Kollegen“in den übrigen Waschräumen setzen sich bei Benutzung als „Trostspender“mit digitalen Worten in Szene und servieren Zitate aus bekannten Filmen, in denen es irgendwie um Körpersäfte geht: „... die Pfützen von Blut, die sich angesammelt haben, diesen Mist müssen Sie aufwischen!“. Mit dieser Arbeit von Susanne Weirich entläßt enjoy! die Besucher locker gestimmt in die ländlich freundliche Welt draußen.

Hajo Schiff

Schloß Agathenburg (bei Stade), Di – Sa 14 – 18 Uhr, So 10 – 18 Uhr, bis 24. August

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