: Wenn es Nacht wird in der U-Bahn
■ Zwischen Deutscher Oper und Hermannplatz: Die BVG lud zu einer nächtlichen Fahrt durch die Unterwelt aus Schienentrassen, Tunnelröhren und ausrangierten U-Bahnhöfen
Auf dem Weg in die Unterwelt ist es heiß. Kein Höllenfeuer, sondern einfach nur stickige, in den U-Bahn-Schächten stehende Luft. Selbst Fahrtwind hilft da nicht viel. Allein der Glaube, daß man da wieder rauskommt, beruhigt.
Das BVG-Event – Donnerstag nacht bis Freitag morgen mit dem U-Bahn-Cabrio auf unterirdische Entdeckungstour — führt dieses Jahr auf einer speziell zusammengestellten „Ring-Linie“ durch teilweise für den Publikumsverkehr gesperrte Tunnelabschnitte. Los geht es beim U-Bahnhof Deutsche Oper auf der Linie der U2, kurz nach Mitternacht. Das enervierende Quietschen der Gleise übertönt das Dröhnen der Diesellok, die normalerweise die Bauwagen zu den Tunnelbaustellen fährt.
Am Zoo winken vom gegenüberliegenden Bahnsteig noch ein paar späte Fahrgäste. Der Wittenbergplatz ist fast leer, nur ein Mann in blauen Arbeitshosen fegt den Bahnsteig. Über die Rampe geht es hinaus in die laue Sommernacht zum Nollendorfplatz. Unsere BVG-Tunnelexperten und ehemalige BVGler, die sich in einem Denkmalverein zusammengeschlossen haben, moderieren die Fahrt. Wir erfahren, daß es eine historische Straßenbahn zwischen Nollendorfplatz und Bülowstraße gab, die 1972 geschlossen wurde. Und daß die BVG immer behindertengerechter baut. Den schönsten Blick hat man von der Stahlträgerbrücke kurz vor dem Gleisdreieck auf die Kräne am Potsdamer Platz.
U-Bahn-Tunnel an sich sind langweilig. Selbst nachts und im offenen Wagen haben sie wenig von der erhofften Gruselstimmung à la „Der dritte Mann“. An den Wänden hängen ordentlich aufgereiht die verschiedenen Kabel, ab und zu taucht eine Einbuchtung auf, mit Treppchen nach oben. Alles ist sauber, und Ratten scheint es nicht zu geben. Die Tunnelschächte werden schwach mit Neonröhren ausgeleuchtet, hin und wieder taucht ein blaues Licht den seltsamen Troß in diskoähnliches Licht. Trotzdem spürt man die Geschichte vorbeirasen.
Die meisten U-Bahnhöfe wurden von dem Architekten Alfred Grenander kurz nach der Jahrhundertwende erbaut. Die braunen Marmorplatten an der Haltestelle Mohrenstraße – die übrigens auch schon die Namen „Friedrichstraße“, „Thälmannplatz“ und „Otto-Grotewohl-Straße“ trug – stammen aus Hitlers Reichskanzlei. 1961 wurde Mohrenstraße durch den Mauerbau zur Zwangsendstation.
Wir rattern weiter unter der Spree durch – nun auf der Linie der U8 –, an den Tunnelwänden haben Wassertropfen schon Ansätze von Stalaktiten gebildet. Kurz vorm Hermannplatz fahren wir wieder in einen Verbindungstunnel zur U7. Am Adenauerplatz wird haltgemacht. Durch eine der unscheinbaren Türen im Eingangsbereich treten wir plötzlich in eine riesige Betonhalle mit Holztreppen: Hier ist unter dem Adenauerplatz noch ein U-Bahnhof, der für eine Verbindungslinie zur ein Kilometer entfernten Uhlandstraße geplant war.
Nutzlos, wie er jetzt ist, sollte er nicht bleiben. In den 60er Jahren gab es Überlegungen, darin Champignons zu züchten. Heute denkt man „auch“ über Technopartys nach. Doch die BVG ist am Schluß der nächtlichen Reise noch nicht so avantgardistisch. Um 3.30 ist die Fahrt zu Ende, es gibt Sekt und heiße Würstchen. Elke Eckert
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