■ Der Machtkampf in der Serbischen Republik ist eine Chance für Bosnien – wenn der Westen Plavšić unterstützt: Die Logik des Friedens
Achtzehn Monate nach Ende des Krieges bietet Bosnien-Herzegowina ein trostloses Bild. Die ehemalige Front- und heutige Grenzlinie zwischen den beiden „Entitäten“ oder quasiautonomen Teilen, aus denen das Land seit Unterzeichnung des Friedensabkommens von Dayton besteht, wird immer mehr zur echten Grenze. Die gemeinsamen Institutionen von Serbischer Republik und muslimisch-kroatischer Föderation, die in Dayton vorgesehen sind, kommen nicht in Gang. Und die Gerüchte über anstehende, neue bewaffnete Auseinandersetzungen wollen nicht verstummen.
Kein Wunder. Sowohl in der Föderation als auch in der Serbischen Republik sind nach wie vor dieselben Politiker an der Macht, die den Krieg geführt haben. In beiden Teilen Bosniens führen nach wie vor dieselben Generäle dieselben Armeen. In der Serbischen Republik zieht gar nach wie vor der weltweit wegen Kriegsverbrechen gesuchte Radovan Karadžić hinter den Kulissen die Fäden. Doch unter dieser Oberfläche bewegen sich die Dinge.
Vor zwei Wochen hat Biljana Plavšić, die Präsidentin der serbischen Entität, Karadžić und anderen Politiker-Kollegen aus dem eigenen Lager Korruption und Diebstahl von Staatseigentum vorgeworfen. Anschließend ordnete sie die Auflösung des Parlaments an und kündigte gegen den Widerstand von Karadžić' Anhängern Neuwahlen für den 1. September an. Der Konflikt offenbart, daß das „serbische Lager“ in Exjugoslawien keineswegs homogen ist. Schon während des Krieges formierte sich Widerstand gegen die jeweiligen Führungen. Den Serbenführern, allen voran Karadžić, wurde damals wie heute Korruption und andere Verbrechen gegen ihre eigenen serbischen Brüder und Schwester vorgeworfen – und damit Verrat an der „serbischen Sache“. Doch innnerhalb der Kriegsdynamik war es für Karadžić & Co immer ein leichtes, jegliche Kritik mit Verweis auf die „schwierige Lage“ und die „Bedrohung des Serbentums“ zurückzuweisen. Aber heute zieht diese Masche nicht mehr.
Als beinharte serbische Nationalistin ist Biljana Plavšić mehr als glaubwürdig. Im Gegensatz zu vielen ihrer früheren Mitstreiter aus der herrschenden Serbischen Demokratischen Partei war die Präsidentin nie Mitglied der (jugoslawischen) KP. Plavšić hat aus ihrem serbischen Nationalismus auch zu Zeiten des (jugoslawischen) Kommunismus nie ein Hehl gemacht. Deshalb war auch niemand verwundert, als die „eiserne Lady“ der bosnischen Serben vor einem Jahr von Radovan Karadžić selbst an seiner Stelle als Staatsoberhaupt eingesetzt wurde. Damals traute ihr niemand zu, daß sie jemals eigene Entscheidungen treffen würde. Der internationalen Gemeinschaft galt sie als Übergangskandidatin. Und innerhalb des serbischen Lagers ging man wohl davon aus, daß sie für alle Zeiten ein Sprachrohr des abgetauchten „echten“ Präsidenten der bosnischen Serben bleiben würde.
Doch die Dynamik des Friedens macht auch vor der Serbischen Republik nicht halt. Die (korrupten) Wendenationalisten um Karadžić versuchen seit zwei Wochen die Angriffe der (ehrlichen) Nationalistin Plavšić nach altbewährtem Muster zu parieren: Da wird Unterstützung in Belgrad gesucht – bei Slobodan Milošević, dem Übervater aller Serbisch-Nationalen. Da wird geradezu panisch an die Einheit aller Serben appelliert und alles getan, um die Kritiker in den Augen der Bevölkerung zu diskreditieren. Aber was im Krieg funktionierte, das funktioniert 1997 nicht mehr. Selbst die nationalistisch aufgestachelte Bevölkerung der Serbischen Republik in Bosnien ist nicht mehr bereit, ihren Führern alles zu glauben. Mit einem Durchschnittseinkommen von 87 Mark im Monat (248 Mark in Bosniens muslimisch-kroatischer Föderation), Massenarbeitslosigkeit und Armut unterstützen selbst echte serbische Nationalisten lieber eine Präsidentin, die ihnen eine Perspektive anbietet, als den Kriegshelden Karadžić.
Die korrupten nationalen Ultras um Karadžić und Krajisnik haben diese neue Dynamik bisher nicht begriffen. Sie verstehen offenbar nicht einmal, daß sie diesmal nicht auf Hilfe aus Belgrad hoffen können. Serbenpräsident Milošević hat sich zum Präsidenten Rest-Jugoslawiens wählen lassen und will als solcher internationale Anerkennung für den von ihm gegründeten Staat gewinnen. Milošević wird sich folglich hüten, in die inneren Belange der bosnischen Serbenrepublik allzu offen einzugreifen.
An die Stelle der Logik des Kriegs ist die eines – unsicheren, aber bisher stabilen – Friedens getreten. Die Bürger beider Teile Bosniens wollen endlich sehen, wofür sie vier Jahre lang gekämpft haben. Auch in der durch die Vertreibung der Muslime und Kroaten und die Abwanderung fast aller Fachleute geschwächten Serbischen Republik fragt man, wo denn der von Karadžić versprochene höhere Lebensstandard bleibt. Dieser zunehmend aggressiveren Kritik großer Teile der serbischen Bevölkerung und von Teilen des serbisch-nationalistischen Establishments an den korrupten Ultras bietet der internationalen Politik in Bosnien-Herzegowina ungeahnte Chancen. Unterstützt die internationale Gemeinschaft – also der Hohe Repräsentant, die diversen UN-Agenturen, die Nato-Friedenstruppen und die Staaten, die hinter ihnen stehen – Plavšić und die reformbereiten Kräfte innerhalb der serbisch-bosnischen Führung weiterhin klar und deutlich bis zu deren Sieg über die Karadžić-Anhänger, so nutzt sie Sollbruchstellen innerhalb des herrschenden Blocks aus.
Die Chancen Plavšić', den Konflikt gegen ihre korrupt-nationalen Gegnern zu gewinnen, stehen derzeit nicht schlecht. Das Militär der serbischen Republik hat sich neutral erklärt. Und die internationale Gemeinschaft unterstützt die nichtkriminellen Nationalisten um Plavšić bisher tapfer – bis hin zu den Verhaftungen international gesuchter Kriegsverbrecher durch Nato-Friedenstruppen in der letzten Woche. Diese Politik der internationalen Gemeinschaft wird von der Hoffnung getragen, daß es mit Politikern ihres Schlages möglich sein wird, die gesamtbosnischen Institutionen endlich in Gang zu bringen. Dies wäre wiederum die Voraussetzung für zukünftige echte freie Wahlen, in denen auch die nichtnationalistische Oppositon eine Chance hat. Das ist ein langer Weg, auf dem Kompromisse gemacht werden müssen. Aber für Bosnien es ist der einzige Weg, auf dem sich die Logik des Friedens endlich gegen die des Krieges durchsetzen kann. Rüdiger Rossig
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