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Regierungen werden geduldet, Schokohasenerschossen

■ Im Akas präsentiert sich die Slam Poetry mit einer neuen Anthologie

Sie sind avanciert/verkommen zu Lieblingen der deutschen Frauenzeitschriften. Von Petra bis Cosmopolitan werden die wilden Burschen und Mädels der social beat- Szene weitergereicht. „Besonders die harten Jungs mit Muskeln, Tattoos und deftigem Grinsen vermitteln kultivierten Damen ein sanftes Prickeln auf der Haut“, erklären sich Boris und Günther diese äußerst seltsame Klassenvermischung. Erstaunt mag man dann sein, wenn man feststellt, daß so jung diese neuen Literaten gar nicht sind. 30 Jahre oder ein bißchen mehr haben die meisten Autoren der „Social beat/poetry slam“-Anthology der Asperger Autorenwerkstatt auf dem Buckel. Jedenfalls vermitteln sie einem stets vom Einschlafen bedrohten Kulturbetrieb das Gefühl von unberechenbarem, quirligem underground-Esprit.

Leidige Folgeerscheinung: Die social beat-Literatur wird eher als soziale Bewegung ernstgenommen, denn als Literatur. Viel ist die Rede von den Produktionsbedingungen, dem radikalen Demokratieverständnis, das jedem ein Podium bietet, wenn er nur den Mut zur Öffentlichkeit hat. Weniger Augenmerk wird den formalen Eigenschaften der Texte gespendet. Sie seien hautnah an der Realität, heißt es, spiegeln Leben ganz authentisch, heißt es, Referenz auf beat generation, auf die 60er-Jahre-Lyrik der Neuen Subjektivität; Beschreibung beendet.

Rowohlt und der Leipziger Reclam Verlag haben Anthologien herausgegeben, die auch all denen Kenntnisnahme und Urteil ermöglichen, die nicht interessiert sind an beat-life-Atmosphäre. Und siehe da: Es sprießt interessante Kunst, wo manche vielleicht nur Selbsttherapie vermuteten. Mit Ambivalenz reagiert die Szene auf diese ihre Akkreditierung zur Hochkultur.

Deshalb säbelt sich der Killroy Media Verlag seinen eigenen Querschnitt durch die deutsche Slam-Szenerie. Trotz Mini-Startauflage (2.000 Stück) ein finanzieller Kraftakt. Ein gutes Jahr lag das feuerrote Heft auf Halde. Jetzt wurde es auch in Bremen vorgestellt. Natürlich im Akas, jenem Durchgangsbahnhof für Malerei, Videofilm, Musik, Literatur und Performanc, in Wahrheit selbst nichts anderes als eine beeindruckende Langzeitperformance: „Keiner kriegt Geld, nicht die Veranstalter, nicht die Künstler, aber siehe da, es klappt. Ein kleines Wunder. Zunächst gab es die Illusion, uns an öffentliche Gelder ranzuschleichen. Am Ende wollten wir gar keine Subventionen mehr. Die machen nämlich ,rechenschaftspflichtig'.“(Martina Stache) Seit vierJahren ist diese dauerhafte Antiinstitution zuhause in der Weberstraße, auf einem Flugblatt unter der Hausnummer 27, auf dem anderen ist es die 44. Wie stellt man eine Anthologie vor? Indem man einen der circa 70 Autoren einlädt.

Der Düsseldorfer Schriftsteller Philipp Schiemann beim Akas

Von vielen kleinen Kotzbröckelchen die über eine Batterie Sniggersriegeln vertstreut liegen erzählt Philipp Schiemann, aber auch vom Rascheln einer Zeitschrift, das als Herbstwaldrauschen in ein übermüdetes Hirn einsickert. Detailgesättigt ist Schiemanns Prosa. Viele kleine Wahrnehmungsfitzelchen flattern hintereinander her. Ein roter Handlungsfaden schimmert nur schemenhaft darunter durch. Nicht so sehr die story ist wichtig, sondern ein bestimmter Weltzugang, oft angesiedelt in Zwielichtmomenten. Schiemann paßt seinen Protagonisten ab auf der Kippe zwischen Schlafen und Wachen, im Schwebezustand zwischen Lustlosigkeit und Tat. Daß es eine richtige „Tat“ist, eine kriminelle nämlich, ein Tankstellenüberfall, interessiert vielleicht die Petra-Leserin (siehe oben), ist aber nicht ausschlaggebend für die Qualität von Schiemanns Schreibe.

In Schlingensiefsche Trashfantasien, etwa von Zombies, die gerade mit dem Ausreißen von Armen beschäftigt sind, mischt sich Unspektakuläres, zum Beispiel ein flüchtiger Blick auf Fingernägel. Wer hinter Schiemanns Prosa bemühtes Grenzgängertum oder den Willen zur Drastik vermutet, liegt also falsch. Sonnig wie ein Frühlingsgedicht trägt der Autor das Seine vor. Auf die Inszenierung als Tabubruch kann er verzichten. Keine Exotiktour zu Dschungeln jenseits der Normalität, sondern alles Teil der Normalität. Wandernd soll das Denken sein, wie in Schiemanns Prosa.

Die Günther Kahrs-Show

Keine Lesung, keine Buchpräsentation ohne Günther-Kahrs-Show. Parolen werden unters Volk gestreut, genauso locker-flockig wie Kinofreikarten und Ahoj-Brause-Pulver. Stillagen verschwimmen, sind nicht mehr identifiziebar. „Die Tage in der Woche sind nicht gerecht verteilt.“„Winkt Dir das Glück, winke zurück.“„Wir fordern ein freies, tolerantes Bremen. Selbst Regierungen werden geduldet.“„Jeder Tritt ist ein Auftritt.“Kabarett, Dada, ernste politische Aussage, Witz schräg gegeneinander geschnitten.

Entkrampfungsstrategien der Frankfurter Spontis werden wieder aufgenommen. Wie streuten die da so nett mitten in die allseitigen Proklamations-Orgien: „Wir fordern die Begradigung der Erdachse.“

Slam Poetry an sich ist ein Mischformel. Postangestellte treffen sich mit Lehrern, Biologiestudenten, Filmautodidakten, Drop outs. Literaturinteressierte lauschen gemeinsam mit Lebenshilfesuchenden. Abgrenzungsbedürfnis versteht sich da von selbst. Der Formbewußte lästert ein wenig über die straight-laß-es-einfach-raus Erlebnisberichte des Straßenkids. Der Mann mit der harten Straßen-, Drogen- oder Alkvergangenheit (oder Gegenwart) kann den eifrig in sich selbst horchenden Oberschüler schwer ernst nehmen. Dennoch: im großen und ganzen wird die Buntheit des Gemischs von allen begrüßt.

Und jede Stadt entwickelt ihre eigene Polyrhythmik: in München, meint Günther Kahrs, ist Yuppiegeist prominent vertreten. Die Bremer Szene spiegelt mehr die Wirklichkeit des Viertels. bk

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