■ Vorschlag: Playmobil-Welten, Doom-Spiele, Internet-Chats und Sci-fi-Moden in einer Raumstation namens C-Base
Im Sommer 1995 wurden unter der Mitte von Berlin die Überreste eines Raumschiffs entdeckt. Eine Gruppe von Wissenschaftlern machte sich daran, den Fund zu untersuchen, und sie fand heraus: Das Gebilde, das viele bislang für den Ostberliner Fernsehturm gehalten haben, ist in Wirklichkeit die Antenne eines gigantischen Jifos (Jetzt identifiziertes fliegendes Objekt), das nach seinem Absturz unter dem Alexanderplatz versunken ist. Eine astrologische Sensation, neben der die Pathfinder-Mission wie ein müder Spaziergang wirkt.
Auch an anderen Orten in der Berliner Innenstadt haben Archäologen Teile des riesigen Raumschiffs mit dem Namen C-Base ausgegraben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Eingang zu einem dieser Ausgrabungsorte befindet sich in der Oranienburger Straße. Wer durch die blau lackierte Tür in dem engen Hinterhof der Alt-Berliner Mietskaserne eintritt, findet sich in einem halbdunklen Raum voll Raumschiff-Technik wieder.
Blau und orange blinken Meßinstrumente, und eine blecherne Frauenstimme begrüßt den Besucher: „Willkommen auf der C-Base. Bitte identifizieren Sie sich am Scanner-Modul.“ Nachdem man seine Handfläche auf eine Metallplatte gelegt hat und durchgecheckt worden ist, betritt man durch eine Schleuse die Kommandozentrale des eher prähistorisch anmutenden Flugkörpers, wo man bald schon humanoiden Lebensformen gegenübersteht. Zwischen Elektroschrott und alten Telespielen, den Tastaturen ausgedienter Amiga-Computer und etwas ominösem Navigations-Schnickschnack trifft sich jeden Abend die Crew des Raumschiff C-Base.
Soweit der Bluff. In Wirklichkeit ist C-Base kein Beitrag zum Akte-X-Fieber, sondern ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder sich die Tour mit dem Raumschiff ausgedacht haben. Seit 1995 hat sich die Gruppe in Mitte einen Science-fiction-Spielplatz gebaut, der so „Blade Runner“-mäßig geraten ist, daß man fast an den Mythos mit dem abgestürzten Ufo glauben möchte.
Zur Zeit findet in den Räumlichkeiten von C-Base eine Nonstopserie mit Seminaren, Performances, Vorträgen, Ausstellungen, Modenschauen und Spielen statt, die den Verein in Berlin bekannt machen soll. Das Programm der Veranstaltungsreihe ac-terra (sprich: et cetera) ist jedenfalls so vielseitig, daß man sich am besten an einem beliebigen Tag ab 17 Uhr zur C-Base beamt – irgendwas wird auf jeden Fall los sein.
Am Wochenende konnte man etwa in einer auf Zimmergröße gestalteten Playmobil-Welt an Rollenspielen teilnehmen; oder dabei zusehen, wie die Künstlergruppe TMF Powersaw mit Schrott und Schweißgeräten Stahlblumen für den Garten anlegen. Bei einem Seminar wurden anatomische Modelle von Puppen der Renaissance bis zu digitalen Computeranimationen der Gegenwart vivisektiert.
Ufos gehören zu den Phantasy-Accessoires aus dem Weltall wie hypermodernes Mattel-Spielzeug zur Mars-Mission Foto: AP
Und in der zweiten „Worms Open“ kämpften ein paar Leute online gegeneinander in einem Computer-Game, wo alle Beteiligten Würmer sind. Bisher hat C-Base 140 zahlende Mitglieder, nach dem knapp dreiwöchigen ac-terra werden es im günstigsten Fall ein paar mehr sein. Wer beschreiben möchte, um was es sich bei diesem Verein handelt, fängt am besten damit an zu erklären, was er nicht ist: C-Base ist kein Hacker-Club, obwohl es in den Vereinsräumen diverse Terminals zum Surfen im Internet gibt. Es ist kein Science-fiction-Fanclub, obwohl man sich zu Parties gerne in Star-Wars-Kostümen einfindet. Es ist auch kein akademischer Diskutierverein, obwohl eine ganze Reihe Mitglieder studierte Medienwissenschaftler, Physiker oder Molekularbiologen sind (entsprechend soll die auf der Homepage detailliert beschriebene Erdgeschichte according to C-Base angeblich auch einer naturwissenschaftlichen Überprüfung standhalten können). Und es ist auch kein Club von Multimedia-Designern, obwohl einige von ihnen Websites gestalten oder CD- ROMs programmieren. Bei der Veranstaltungsreihe ac-terra kann man sich all diese lose gebündelten Aktivitäten ansehen. Wer den Ort an der Oranienburger Straße besucht, sollte auf jeden Fall auch die Toilette besichtigen: Dort rankt sich eine außerirdische Lebensform um die Leitungsrohre. Tilman Baumgärtel
Heute abend ab 19 Uhr: „1. Doom Open“ (und eine Lesung des Science-fiction-Autors Philip Sonntag).
Morgen ab 17 Uhr findet die Ausstellung „Computerspiele vom Anfang bis Heute“ statt, um 20 Uhr dann Einführung ins Internet. Eintritt: 5 Mark, Sammelticket: 20 Mark. Alle Veranstaltungen: C-Base, Oranienburger Straße 2 (blaue Tür im 1. Hinterhof).
Weitere Informationen zum Programm von ac-terra im Internet unter: http://www.c-base.org .
Bilder vom Raumschiff unter: http://www.c-base.de oder C-Base- MUD: c-moo.c-base.org 7777
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