: „Ich will das System zeigen“
Rita Dolder hat als Prostituierte die Schweizer Politprominenz bedient. Jetzt hat sie ein Buch veröffentlicht – und die Prominenten findens gar nicht nett ■ Von Ingrid Eißele
Was für eine Stimme! Samtweich, ein bißchen kindlich, mit einem kleinen rauhen Akzent. Schwer vorstellbar, daß sie mit diesem Organ Freiern befahl, ihre Stiefel zu lecken, den Ständerat „Waldeli“ am Halsband durch das Treppenhaus dirigierte oder „German“, ein Regierungsmitglied, splitternackt durch den Wald jagte. „Man muß nicht schreien. Man muß nur konsequent sein“, sagt sie sanft. „Sonst gibt es Schläge.“
Rita Dolder, 54, weiß, wovon sie spricht. Kaum eine Frau kennt Schweizer Männer, deren sexuelle Neigungen bisher weniger erforscht waren als Paarungsrituale von Murmeltieren, so gut wie sie. Rita, die wie eine tüchtige Berner Geschäftsfrau aussieht – vielleicht ein bißchen viel Gold am Leib, ein bißchen viel Farbe auf den Lippen trägt –, tat 31 Jahre lang „Dienst am Manne“, wie sie sagt, und diente dabei vor allem der höchsten Kaste ihres Landes. Über ihre Erfahrungen als „Politikerprostituierte“ und Domina im Berner Regierungsviertel hat sie mit Co- Autorin Juliana Balmer ein ebenso lehrreiches wie amüsantes Buch verfaßt, das einige eidgenössische Volksvertreter allerdings gar nicht komisch finden. Denn auf fast 250 Seiten steht vieles, was den Ruf des Hohen Hauses demontiert.
Zum Beispiel, daß Dolders Geschäfte nie besser als an Parteitagen liefen, vor Staatsbesuchen oder während der zwölf Wochen „Session“, wenn sich die Parlamentarier aus allen Kantonen in Bern versammelten und sich nach den Debatten abends im Hotel langweilten. Dann nämlich, so berichtet Rita, häuften sich bei ihr und den Kolleginnen vom Bundesplatz die Besuche von Herren „mit Anzug, Krawatte, Aktenköfferchen und Beamtenhaarschnitt“. Einige hätten nur schlichten „Blüemlisex“ verlangt – Missionarsstellung –, die Mehrheit aber habe Ausgefalleneres begehrt und erhalten. Sobald sie Aktenköfferchen und Anzug fallen ließen, übernahm die rothaarige Rita, in Leder und quietschenges Latex gezwängt und auf zwölf Zentimeter hohen Absätzen thronend, das Regiment über Regierung und Parlamentarier, über „Machtmenschen, die sonst nur mit dem Finger schnippen brauchten, damit alle kuschen“. Je größer die Macht, so ihre simple Erkenntnis, „desto perverser die Wünsche“.
Pervers war für sie nicht der sogenannte Herr Waldeli, der sich schwanzwedelnd im Treppenhaus Gassi führen ließ. Auch nicht Ueli, der Bananen, Gurken und steinharte „Rüeblis“ mitbrachte und damit selbst die erfahrene Domina verblüffte. „Als alles verstaut war, dachte ich, daß er seine Gemüse- Obst-Mixtur wieder herausholen würde. Ueli jedoch zog sich einfach wieder an, und als er meinen ungläubigen Blick sah, sagte er: ,Mach dir keine Sorgen, das kommt alles von selbst wieder heraus.‘“ Pervers, das waren für sie der „Vater kleiner Kinder, der von kleinen Kindern träumte“, und die „vielen Rassisten, die nach befriedigenden Sexspielchen ihre wahre Gesinnung zeigten“.
Solche Indiskretion findet sie nicht im mindesten unmoralisch. „Prostituierte werden für ihre Dienstleistungen bezahlt, nicht fürs Schweigen.“ Außerdem: „Jeder, über den ich schreibe, kann froh sein, daß ich nicht mehr erzählt habe.“ Rita wäre ja bereit gewesen, all diese heiklen Geheimnisse in ihrem großen, bronzefarben gebräunten Busen zu verwahren, hätte sie nicht die „Doppelmoral“ der Bundesräte, Ständeräte und Nationalräte böse gemacht, die sich „während laufender Debatten bei Prostituierten vergnügen, um danach ,ungeduscht‘ frauenfeindliche Gesetze zu erlassen“.
Noch in den sechziger Jahren seien die Prostituierten von Bern eine kleine Gemeinschaft gewesen, die „voll akzeptiert wurde“. Seit den siebziger Jahren habe sich das Blatt gewendet. „Wir bekamen Lokalverbot in Restaurants und bezahlten überall das Doppelte – bei der Miete, beim Friseur oder in der Autowerkstatt.“ Wenn sie sich beschwerte, sei ihr pampig beschieden worden: „Du brauchst ja nicht mehr zu kommen!“
1993 entschieden die Parlamentarier, daß Prostituierte kein Recht hätten, ihren Lohn einzuklagen, wenn Freier nicht zahlen wollen. Inzwischen will die Berner Regierung das Parlament sogar mit einem Zaun gegen Dirnen, Dealer und Drogenabhängige abriegeln, um die Würde des Hohen Hauses zu wahren. Voriges Jahr marschierte Rita Dolder deshalb mit ihren Kolleginnen auf den Bundesplatz und verteilte demonstrativ rote Rosen an die Abgeordneten. „Es war gerade Markttag. Ein Teil der Abgeordneten hielt sich hinter Blumenständen und Geranien versteckt, das war herrlich!“
Auch jetzt, nach Erscheinen ihres Buches, wagt sich keiner der zitierten Ruedis, Uelis und Waldelis aus dem Versteck. Dabei habe sich doch „mindestens jeder dritte“ des Bundesparlaments die langweiligen Sitzungswochen durch Besuche in den Salons verkürzen lassen, behauptet Rita, allen voran Mitglieder der freisinnigen FDP. Die taten bisher, was alle Parteien tun, um das peinliche Thema schnell aus der Welt zu schaffen: sie schwiegen. Einige Abgeordnete hätten zwar gerne wegen „pauschaler Ehrverletzung“ geklagt, sagt Parteichef Franz Steinegger („Bei diesem Buch ist recht viel Phantasie im Spiel“), er aber riet ab. „Das würde dieser Frau doch nur weitere Publizität verschaffen.“
Von anderer Seite dagegen erfährt die Autorin überraschenden Zuspruch: von Frauen. „Die haben keine Ahnung, was beim Thema Sex in den Köpfen der Männer vorgeht.“ Nach ihren Erfahrungen aus dreißig Berufsjahren, in denen sie neben Prominenz immer auch Normalkunden bediente, gingen 95 Prozent der Männer im Laufe ihres Lebens mindestens einmal ins Bordell. Darum sieht sie ihr Buch als Aufklärungshilfe für Schweizer Bürgerinnen und denkt sogar darüber nach, Vorträge vor Hausfrauen zu halten. „Heutzutage gibt es tatsächlich noch Männer, die sagen, meine Frau verweigert den Oralverkehr“, sagt sie. „Frauen sollten keine Sachen machen, die ihnen zuwider sind, aber ruhig ein bißchen entgegenkommender sein. Auch der Durchschnittsschweizer will nicht jeden Tag Erbsensuppe.“
Der Durchschnittsschweizer spielt in Rita Dolders Autobiografie freilich eine Nebenrolle. „Ich nehme nur die dran, die es verdienen: die Saubermänner der Nation.“
Zum Beispiel den Ständerat, der ihr nach einem Dokumentarfilm im Schweizer Fernsehen gedroht habe: „Wenn du auspackst, wirst du umgebracht.“ Daß sie auspackt und die Decknamen ihrer Freier entschlüsselt, darauf wartet nun die ganze Schweiz. Vergeblich, auch wenn ihr inzwischen ein Haus, eine Wohnung und 150.000 Franken Schweigegeld geboten worden seien, aber auch größere Summen für Enthüllungen von Parteien, die ihren politischen Gegner bloßstellen wollten. Doch jede Schweizer Partei sei durch Mitglieder in ihrem Puff vertreten gewesen, behauptet Rita Dolder. „Die soll doch ruhig Namen nennen!“ schimpft FDP-Präsident Franz Steinegger. Doch Rita schweigt.
„Ich will nicht den einzelnen Mann in die Pfanne hauen“, sagt sie, „sondern das System dahinter zeigen.“ Ein System, das ihren Service ebenso dringend benötige wie verleugne. Rita kämpft deshalb zusammen mit Kolleginnen und der Berner Beratungsstelle Xenia für die Anerkennung der Prostitution und ein Berufsbild als „Therapeutin oder Sozialarbeiterin im Sexgewerbe“. Prostitution als geregelter Ausbildungsberuf, vom Arbeitsamt empfohlen? Warum nicht, sagt Rita. „Eine Domina, die ein Studio aufmacht, besucht heutzutage Kurse bei Kolleginnen.“
Vor ein paar Monaten ist sie aus der Hauptstadt aufs Land gezogen. Dort, in einem 260-Seelen-Dorf bei Bern, zwischen Höfen mit heruntergezogenen Dächern und Einfamilienhäuschen mit Schweizer Flagge im Vorgarten, bewohnt sie ein Haus am Waldrand, pflanzt Basilikum und Fleißiges Lieschen und unternimmt mit Zwergpudel Tanja ausgedehnte Streifzüge durch die Umgebung. Im Keller ihres Hauses betreibt sie den „Saunaclub Princess“, auf den am Garagentor eine handgemalte Tafel hinweist. Jeder im Dorf weiß, daß es sich dabei um einen Puff handelt, auch die Gewerbepolizei, die dem Club den staatlichen Segen gegeben hat, solange er dort als „stilles Gewerbe“ agiere. „Hier regt sich keiner auf“, sagt Rita. Der Gemeindepräsident wohnt gleich gegenüber, und Bauern bringen der Bordellwirtin und ihren Mädchen Kaminholz und Gemüse vorbei.
In Ritas Gewerbebetrieb arbeiten drei junge Frauen auf Provisionsbasis. Rita kassiert von jedem Freier 30 Prozent, 70 Prozent bleiben den Frauen. Die Chefin sorgt für Kost und Logis und zeigt Anfängerinnen, was eine gute Prostituierte ausmacht: nämlich einfühlsam, servicebewußt und „eine große Schauspielerin“ zu sein. Und peinlich genau zwischen Dienst und Privatleben zu trennen. Bei der Wäsche genauso wie bei den Gefühlen: „Sympathie ist das Maximum. Alle übrigen Gefühle waren gespielt. Ich liebte sie alle, solange sie Geld brachten.“
Ähnlich nüchtern erzählt Rita Dolder, warum sie, das „häßliche Kind“, Prostituierte wurde. Anfangs aus Trotz und Naivität, weil sie weg wollte von dem streng katholischen Dorf, wo der Vater ständig fremdgegangen sei, ein Knecht die Zehnjährige betatschte und Rita daraufhin beschuldigt wurde, ihn verführt zu haben. Später des vielen Geldes wegen. In ihren besten Zeiten verdiente sie „mehr als ein Bundesrat“ und verpulverte es in wenigen Wochen, wenn sie Ferien im Ausland machte und die feine Dame aus der Schweiz mimte. Flog mit der Concorde nach New York, residierte in First-class-Hotels und wurde endlich so behandelt, wie sie es sich wünschte: respektvoll, freundlich. Eben wie ein ganz normaler Mensch.
Seit zwei Jahren arbeitet Rita Dolder nicht mehr als Prostituierte. Ihre alten Kunden schickt sie zu den jungen Kolleginnen. Mit 54 mag sie ihre Haut nicht mehr zu Markte tragen. Das französische Bett im Obergeschoß gehört ihr allein. Dort liest sie Zeitschriften, nascht „Schoggi“, sieht Talksendungen oder zum wiederholten Male das Video, das Nina Hoss als aufmüpfig-einfühlsame Edelhure Rosemarie Nitribitt („Das Mädchen Rosemarie“) zeigt. Parallelen? „Sie hat wie ich die Oberschicht bedient.“ Und: „Sie ist tot, aber ich lebe.“ Rita hat sich abgesichert, in zwei Tresoren seien Namenslisten hinterlegt. „Wenn mir etwas passiert“, droht sie, „dann sind die betreffenden Herren dran!“
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