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Das Spiel um die Spiele

Rom muß plötzlich wieder um den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2004 bangen, denn Italiens Projekte erweisen sich als Wanderdünen  ■ Aus Rom Werner Raith

Bis Anfang Juli konnten Roms Bürgermeister Francesco Rutelli und eine lange Reihe von Notabeln bis hin zu Regierungschef Romano Prodi in aller Ruhe ihr „Jahrhundertprojekt“ pflegen und sich abends beruhigt ins Bett legen: Olympia 2004, so schien es, fällt der Ewigen Stadt fast automatisch zu. Die anderen Bewerber, Stockholm, Athen, Buenos Aires, Kapstadt, schienen entweder viel zu mickrig ausgestattet, zu arm, zu unerfahren oder ohne jede Lobby im Internationalen Olympischen Komitee (IOC): satte 169 Sportstätten, „die schon jetzt olympiatauglich wären“, dazu unzählige Accessoires und natürlich „Kultur, Kultur, Kultur“ – als neuerdings wieder gefragtes Gegengewicht zum reinen „Höher, schneller, weiter“ der bloßen Rekordjagd: all das konnte Rom im Überfluß bieten.

Doch plötzlich herrscht wieder einmal Katzenjammer. Denn da ist auf einmal „dieses Weib“: eine bis dato den Römern völlig unbekannte Frau namens Yanna Angelopoulos, griechische Unternehmerin mit Durchsetzungskraft und „geradezu unverschämt schön“, so ein Mitglied des Bewerbungskomitees „Roma 2004“. Die Dame hat sich daran gemacht, nicht nur eine Riesenmenge Geld für die Ausrichtung der Spiele in Athen herbeizuschaufeln, sondern offenbar auch eine ansehnliche Anzahl von IOC-Mitgliedern zu becircen – allen voran den 2001 (eventuell) abtretenden Präsidenten Juan Antonio Samaranch. Der hatte bis dato den Italienern, speziell dem mächtigen Präsidenten des Leichtathletikverbandes Primo Nebiolo, die Spiele inoffiziell so gut wie zugesagt. Nun aber findet er, daß „die olympische Welt Athen einiges schuldig ist“. Dem Ursprungsland die Spiele 2004 zuzuschanzen, nachdem die von 1996 – zur Hundertjahrfeier der Olympischen Spiele neuer Zeit – nach Atlanta vergeben wurden, wäre die Krönung seiner IOC-Präsidentschaft. Hat ihm jedenfalls Frau Angelopoulos eingeredet.

Was Samaranch und mittlerweile auch eine Anzahl vorher unentschiedener Ländervertreter in Richtung Griechenland treibt, ist auch die Tatsache, daß die Ausrichtung dort fast unumstritten ist – während sich in Rom eine mächtige Anti-Olympia-Bewegung formiert hat. Intellektuelle, Künstler, Politiker haben eigene Komitees gegründet, die die Ängste vor einer „Totalzerstörung auch der letzten kulturellen Ressourcen der Stadt“ schüren. Hauptpromoter sind der ehemalige Abgeordnete der Radikalen Partei, Massimo Teodori, und der landesweit höchst geschätzte liberalkonservative Politologe und Leitartikler Ernesto Galli della Loggia.

Letzterer ist mittlerweile bereits weit über die Abwehr der Spiele in Rom hinausgegangen und verlangt die Abschaffung von Olympia überhaupt. „Mit der Idee von Coubertin am Ende des 19. Jahrhunderts haben diese Spiele längst nichts mehr zu tun“, schimpft er, „besser, sie in Weltmeisterschaften der Profis oder ähnliches umzutaufen.“ Die Bewegung gegen die Ausrichtung hat jedenfalls inzwischen so viele wichtige Anhänger gefunden, daß, so der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees, Mario Pescanti, „keiner vom IOC mehr nach Rom kommen kann, ohne mindestens drei oder vier dieser Protestler zu sprechen, weil die überall sitzen, in der Politik, in der Kultur und sogar in einigen Sportverbänden“.

Zum Sinken der Chancen Roms trägt auch bei, daß die Gegner den IOC-Vertretern derzeit besonders hautnah vorführen können, wie „realistisch“ all die schönen Projekte sind, die das NOK da in Schaubildern und Minimodellen aufgebaut hat: Im Jahr 2000 findet das „Gioubileo“ statt, das Heilige Jahr der Katholischen Kirche, und dafür hatte dieselbe Stadtverwaltung, die nun Olympia möchte, mehr als 80 große Projekte versprochen, mit einem Kostenaufwand vom umgerechnet mehr als einer Milliarde Mark – von der Untertunnelung der Engelsburg über die Einrichtung neuer U-Bahnlinien bis zum Bau eines eine Million Personen fassenden „Auditoriums“. Nichts davon wird realisiert, zumindest nicht bis zum Jahr 2000. „Zuwenig Zeit“, brummelt Bürgermeister Rutelli – doch da lachen die Olympiagegner nur: „Daß das Jahr 2000 ein Heiliges Jahr ist, weiß man ja erst seit 1625“ (als der 25-Jahre-Rhythmus für das Jubeljahr festgelegt wurde), „tatsächlich viel zuwenig Zeit.“

Rutelli verteidigt sich: „Leider ist Rom im Untergrund total von alten Ruinen belegt, und wenn man da einen Tunnel gräbt oder ein Fundament gießen will, stößt man stets auf Altertümer, was einen sofortigen Baustopp bedeutet, und erst wenn alles fotografiert, katalogisiert und vielleicht auch abgetragen ist, kann man weiterbauen.“ Replik der Gegner: „Und die Ruinen unter Tage gibt es plötzlich nicht mehr, wenn Olympia ansteht?“

Wasser auf die Mühlen der Gegner ist zusätzlich, daß nicht nur Altertümer die Realisierung hochfliegender Pläne zunichte machen. In Palermo, wo man nicht auf ehemalige Bauten von Kaisern und Krösussen Rücksicht nehmen muß, sollen in wenigen Wochen die Universitäts-Weltfestspiele eröffnet werden – mit mehr als 250 Millionen Mark gefördert. Doch von den Bauten steht nicht einmal ein Drittel.

So fehlen die Unterkünfte für die Sportler – die werden erst nächstes Jahr fertig. Die Gegner freuen sich, denn derlei gibt Material für einen tödlichen Witz: Italien richtet die ersten Olympischen Spiele der allerneuesten Art aus: Die werden in zwei Etappen ausgetragen. In der ersten finden die Wettkämpfe statt, und in der zweiten, drei Jahre später, dürfen die Teilnehmer ihre Unterkünfte beziehen. Und wer dennoch schon vorher in Rom wohnen möchte, kriegt einen Platz in den unterirdischen Ruinen aus der Kaiserzeit.

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