: Einrad, ein Ball, ein Schläger
Einradhockey führt eine Schattenexistenz. Doch Deutschland ist eine Hochburg der Exotensportart. Die beiden ersten Plätze in der Weltrangliste halten zwei Bochumer Mannschaften ■ Von Martin Kaluza
Während der durchschnittliche taz-Leser heute am Frühstückstisch sitzt und darüber sinniert, ob er sein Ei köpfen oder pellen soll, ist im westfälischen Borken der Teufel los. Das Kleinstadt in der Nähe der niederländischen Grenze wird für einen Tag zum Mittelpunkt einer ganzen Sportart: Einradhockey. Heute wird das in dieser Saison sechste Turnier der Ersten Deutschen Einradhockey- Liga (EDEL) ausgespielt.
Der Kader ist klein, eine Liga reicht aus
Von den 19 Mannschaften, die in der 1995 gegründeten Liga organisiert sind, haben sich acht für das Borkener Turnier gemeldet. Als Favoriten gehen die Teams Bochum I und Bochum II ins Rennen. Die engsten Verfolger des Spitzenreiters, die Hurricanes sowie die Mörfelden Gallier, treten gar nicht erst an und vergeben somit schon im Vorfeld alle Chancen, die erste Bochumer Mannschaft einzuholen. Stephan Schumacher von den Hurricanes dazu: „Für uns ist es nicht so wichtig, unbedingt den ersten Platz in der Liga zu erreichen. Interessant wird es im November in der Play-off-Runde, wenn die besten acht Mannschaften gegeneinander antreten.“
Interessanter ist daher die Situation am Tabellenende: Die Gastgeber aus Borken, die bislang erst ein Punkteturnier bestritten haben, hoffen, vom vorletzten Tabellenplatz wegzukommen. Ebenso geht das Frankfurter Team Radlos Lila davon aus, ein paar Plätze gutmachen zu können. Die Bulldogs aus Glehn bleiben weiterhin ohne jegliche Teilnahme an den Ligaturnieren.
Der Kader ist klein, viele der Spieler müssen samstags arbeiten und können keine langfristigen Teilnahmezusagen machen. Abstiegsgefährdet ist immerhin keine der Mannschaften. Die Gemeinde der Einradhockey-Aktivisten ist so übersichtlich, daß in Deutschland bislang eine Liga ausreicht, um die Teams unter einen Hut zu kriegen. Sven Wittorf, der Organisator der Liga, hat oft alle Hände voll zu tun, bevor ein Turnier ausreichend besetzt ist: „Von den bisher sechs Turnieren gab es erst zweimal mehr Meldungen als Plätze.“ Der Ligamodus erinnert an die Wertung in Tennisturnieren: Wie viele Punkte ein Turniersieg einbringt, hängt davon ab, welche Spielstärke den gemeldeten Mannschaften zugeteilt wurde. Die Spielstärke einer Mannschaft wird zu Beginn der Saison über den Daumen gepeilt und setzt sich aus der Vorjahresplazierung und der Einschätzung der Ligaleitung zusammen. Je nach Plazierung im Turnier erhalten die Mannschaften Ligapunkte. In die Wertung der Liga gehen jeweils die drei besten erzielten Resultate ein. Nach Ablauf der Saison spielen dann die besten acht Mannschaften die eigentliche Meisterschaft untereinander aus.
Doch Punkte hin, Meisterschaft her, Sven Wittorf betont, worum es beim Einradhockey eigentlich geht: „In erster Linie Spaß und künstlerisch-sportliche Herausforderung.“ So kommen denn auch die meisten Spieler aus der Jonglierszene, in letzter Zeit schließen sich auch zunehmend Kunstradfahrer an.
Die Begeisterung läßt die Athleten, so Wittorf, kleinere Opfer in Kauf nehmen: „Mit dem Wochenend-Ticket morgens um vier zu einem Turnier anzureisen, ist für manche Mannschaften normal.“ Gelegentlich glänzen die Mannschaften durch Improvisationstalent: Das Frankfurter Team ist derzeit ohne Halle und trainiert den Sommer über in einem Springbrunnen, aus dem vor jedem Treffen eigens das Wasser abgelassen wird. Wittorf: „Wir brauchten unbedingt eine Bande, da lag der Brunnen nahe.“ (Ohne Bande spielen lediglich die Teams in Kanada – weil ihnen allerdings oft der Ball zu weit weg gerollt ist, spielen sie mit einem Lederwürfel.)
Bislang ist Einradhockey noch eine sehr junge Exotendisziplin, die überwiegend von Studenten gepflegt wird. Erstmals erwähnt wurde sie 1960 in einem Artikel über eine Mannschaft aus New Mexico, auch in Japan soll es schon vor 30 Jahren unorganisierte Teams gegeben haben. Landesweite Ligen existieren bislang erst in Deutschland und Großbritannien. Der Monheimer Rolf Sander, der seit 1985 aktiv ist und eine Art internationale Kontaktstelle der Einradhockeyisten darstellt, geht davon aus, daß es außerhalb der beiden Ligen über die Welt verstreut gerade mal 15 weitere Teams gibt; unter anderem in Australien, Japan, Puerto Rico, Kanada und Dänemark.
Die beiden deutschen Hochburgen des Einradhockeys sind das Dreieck Langenfeld/Hilden/Monheim (mit seinen Teams Hurricanes, LAHIMO II und LAHIMO III) und Bochum. Die Bochumer überzeugten 1996 bei den inoffiziellen Weltmeisterschaften in London, indem die beiden Bochumer Teams das Finale unter sich ausmachten: Bochum I ist amtierender Weltmeister, Bochum II Vize.
In Berlin wird eine Mannschaft aufgebaut
Die Langenfelder Ecke kann für sich in Anspruch nehmen, für Deutschland Pionierarbeit geleistet zu haben. LAHIMO, das erste und bis 1990 einzige deutsche Team, wurde 1985 gegründet. Der Legende nach geschah dies, nachdem ein japanischer Weltenbummler namens Takafumi Ogasawara Christoph Verholt und Jochen Löffelmann Einräder in die Hand gedrückt hatte und sie dazu aufforderte, damit Hockey zu spielen. Hurricanes-Spieler Schumacher: „Soweit ich weiß, hat Ogasawara selbst gar nicht Einradhockey gespielt. Eigentlich kann ich mich an gar keinen bestimmten Grund mehr erinnern, warum er damit anfing.“ Inzwischen gibt es dort drei Mannschaften. Weitere entstanden, nachdem LAHIMO-Spieler aus der Region wegzogen und an ihren neuen Wohnorten wieder Spieler zusammentrommelten.
Die deutscheste aller Hauptstädte konnte bislang noch mit keinem Team aufwarten. Doch diesem Mißstand wird nun abgeholfen: Seit etwa zwei Monaten trifft sich regelmäßig eine Handvoll passionierter Einradfahrer jeden Montag um 18 Uhr in der Nähe des Innsbrucker Platzes. Noch befindet sich die Mannschaft im Aufbau. Zudem ist man noch auf der Suche nach einer Halle – bislang hat die Neugründung bei den Auslosungen für Hallenstunden immer den kürzeren gezogen und muß vorerst mit einem Schulhof vorlieb nehmen. Wie die Mitspielerin Diana Sühring erklärt, sind neue Spieler immer willkommen: „Es wäre gut, wenn sie schon Einrad fahren können.“
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