piwik no script img

■ Mehr als 45 Millionen Mark für die Flutopfer sind bereits auf den Spendenkonten eingegangen. Die brandenburgische Landesregierung und die zahlreichen Hilforganisationen bemühen sich, ein karitatives Durcheinander abzuwehrenGerechtes Vert

Mehr als 45 Millionen Mark für die Flutopfer sind bereits auf den Spendenkonten eingegangen. Die brandenburgische Landesregierung und die zahlreichen Hilforganisationen bemühen sich, ein karitatives Durcheinander abzuwehren

Gerechtes Verteilen

Der NDR hat eins, der Bauernverband auch und das Deutsche Rote Kreuz sowieso: ein Spendenkonto für die Opfer des Oderhochwassers. Mehr als achtzig verschiedene Konten haben MitarbeiterInnen des brandenburgischen Innenministeriums gezählt. Über 45 Millionen Mark sind bisher eingegangen. Unklar ist noch, an wen wieviel Spendengeld ausgezahlt wird. Nach dem kontrollierten Chaos an den Oderdeichen droht nun das karitative Durcheinander.

500 Millionen Mark Bundeshilfe, mehr als 80 Millionen Mark aus der Europäischen Union, Versicherungsprämien und Kreditstundungen gehören zu dem Teil des Hilfspakets, der bisher vor allem auf dem Papier steht. Anders die Privatspenden: viele Zwanzig- oder Fünfzigmarkscheine von RentnerInnen, Tausende Mark, gesammelt von Firmenbelegschaften, Großspenden von Unternehmen liegen auf den diversen Konten sofort abrufbar.

Mit dem Abflauen der Flut steigt aber die Sorge vor Fehlsteuerungen bei der Verteilung. Deshalb hat die brandenburgische Landesregierung eine Stabsstelle eingerichtet, die die Spenden gerecht verteilen soll. Eine schwierige Aufgabe, gesteht Jürgen Zweigert aus dem Innenministerium: „Es soll schnell und unbürokratisch geholfen werden, gleichzeitig dürfen sich nicht einzelne auf Kosten der Spender sanieren.“ Die brandenburgische Finanzministerin Wilma Simon (SPD) hält ein Mindestmaß an Bürokratie für unumgänglich. „Wer genug Hilfe aus Spenden bekommen hat, kann nicht auch noch staatliche Unterstützung kassieren“, betont die Kassenwartin des hochverschuldeten Bundeslandes. Gleichzeitig verspricht sie, daß sämtliche Spenden die Opfer erreichen werden.

Auf dem Spendenkonto der Landesregierung waren bis Donnerstag abend rund acht Millionen Mark eingegangen. Das Deutsche Rote Kreuz, das als eine der ersten Organisationen zu Spenden für die Flutopfer in Tschechien und Polen aufgerufen hatte, sammelte unter dem Motto „Nachbarn in Not“ knapp drei Millionen Mark. Weit über fünf Millionen Mark gingen bei der Organisation im Rahmen der gemeinsam mit der ARD und Bild veranstalteten Benefizgala ein. Erhebliche Mittel sind inzwischen auch ausgegeben worden. „Nach Polen und Tschechien haben wir 34 Konvois mit Hilfsgütern im Umfang von 3,9 Millionen Mark geschickt“, berichtet Wolfram Eberhard vom DRK. – In die Ziltendorfer Niederung, die einzige Region in Brandenburg, die vom Oderhochwasser überflutet wurde, hat das Rote Kreuz einen Infobus geschickt. Die Mitarbeiter sollen in Absprache mit Bürgermeistern und örtlichen Helfern entscheiden, wer wieviel Geld und Güter bekommt. Ähnlich verfahren die meisten Hilfsorganisationen. Diakonisches Werk, Caritas, Arbeiterwohlfahrt (AWO) und andere nutzen ihre dezentralen Strukturen. So hat die AWO in Eisenhüttenstadt ihr Lager für Gebrauchtmöbel zum Umschlagplatz für allerlei Gut umgewandelt. „Wir bekommen Möbel-, Kleider- und Lebensmittelspenden aus der ganzen Republik“, sagt Sabine Neumann von der örtlichen AWO. Sie und ihre KollegInnen vom DRK, der Diakonie und der Caritas wiederum wissen aus eigener Anschauung, wo die Not am größten ist. Etwa bei dem Ehepaar, das mit absolut nichts als den Kleidern auf dem Leib in das Güterlager der Wohlfahrtsverbände kam; der Mann trug seine Feuerwehruniform, weil er während eines Hilfseinsatzes vom Deichbruch überrascht wurde.

Nicht immer ist es so leicht, Spenden in Hilfe umzusetzen. Viele spendable BürgerInnen aus der ganzen Republik versehen ihre Überweisungen mit Zweckbindungen. Da soll unbedingt die sympathische Familie, die in einer der Benefizsendungen vorgestellt wurde, in den Genuß des Geldes kommen. „Das Kinderheim in Wiesenau könnten wir fünfmal neu bauen“, sagt Finanzministerin Simon. Auch Michael Jackson verband mit seiner 50.000-Mark- Spende exakte Vorstellungen: Das Geld sollte für den Kindergarten in Ratzdorf verwendet werden. Nur gibt es den aus Kindermangel seit 1993 überhaupt nicht mehr.

Mancher Spender will sein Geld unbedingt im Lande halten. „Deutsche helfen Deutschen“, tönt markig eine ältere Westberlinerin in einer Live-Sendung. „Glücklicherweise kommt die Mehrzahl der Spenden ohne solche Festlegungen“, stellt Wolfram Eberhardt vom DRK fest. Allerdings mute es merkwürdig an, daß die Spenden erst so richtig flossen, nachdem die Flut Brandenburg erreicht hatte. „Man sollte wissen, daß sich achtzig Prozent der Hochwasserfolgen in Tschechien und in Polen abgespielt haben.“

Die meisten Hilfsorganisationen teilen die Spenden jetzt schon zwischen den betroffenen Regionen auf. „In Polen unterstützen wir konkrete Projekte wie etwa den Wiederaufbau eines Altersheims“, sagt Hannelore Hensle vom Diakonischen Werk in Stuttgart. Der brandenburgische Verband wiederum leistet in der Ziltendorfer Niederung Soforthilfe.

Die Stabsstelle der Landesregierung trifft sich derweil täglich. Schäden müssen abgeschätzt, Angebote koordiniert werden. In der kommenden Woche sollen die Vergaberichtlinien stehen. Die Menschen in den überfluteten 178 Häusern jedenfalls warten sehnsüchtig auf die „unbürokratische und schnelle Hilfe“. Gudrun Giese

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen